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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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allerdings zwei, denen bereits Inkassoformulare beigefügt waren. Wenn die bezahlt waren, blieben mir noch zweihundertdreißig Pfund. Ich konnte also zwanzig Tage lang Essen, Benzin und die Fähre bezahlen und behielt noch dreißig Pfund übrig. Diese dreißig Pfund waren meine «Prämie», die ich auch brauchte, um dieses monotone Leben mit einem Tagesbudget von zehn Pfund überhaupt auszuhalten. Ich hatte vor, heute Abend nicht mehr als zehn davon auszugeben und mir morgen Shampoo und neue Wolle zu leisten. Ich wusste zwar noch nicht, was ich als Nächstes stricken sollte, freute mich aber schon sehr darauf, mir im Laden die Strickmuster anzusehen und die vielen unterschiedlichen Wollknäuel zu betasten. Als B. Libby sah, gab sie einen kleinen Glückslaut von sich und kroch unter dem Tisch hervor, um sich den Kopf streicheln zu lassen. Doch dann entdeckte sie George auf der Theke und zog sich rasch wieder zurück.
    «Gute Idee», sagte Libby zu mir, nachdem sie sich aus all der Regenschutzkleidung geschält hatte. «Trinken und Essen in einem.» Sie war ein wenig blass, und als sie mit den Fingern ihre feuchten Haarspitzen entwirrte, sah ich, dass ihr die Hände zitterten.
    «Das hatte ich mir auch gedacht», erwiderte ich. «Sellerie zum Abendessen. Das steht bestimmt auch in irgendeinem Diätratgeber. Und falls nicht, schreiben wir einfach einen. Eigentlich interessieren mich Diäten zwar nicht besonders, aber sie sind immer noch der beste Weg zum Bestseller. Alles klar mit dir?»
    «Geht so. Aber ein bisschen Sellerie kriege ich wohl runter. Willst du auch noch einen?»
    «Ja, gerne. Aber nur mit einem einfachen Wodka, egal, was Tony sagt.»
    Wie sie da so an der Theke stand, sah Libby aus, als hätte man sie hastig in die Ecke eines Bildes hineingemalt und sie wäre noch nicht ganz trocken. Ich stellte mir vor, dass sie auf der Leinwand zerlief wie die Farbschlieren auf den Bildern Mirós oder zu einem der roten Kleckse von Turner gerann, die Taz so gut gefielen.
    «Ist auch wirklich alles in Ordnung?», fragte ich, als sie an den Tisch zurückkam.
    «Nein.»
    Stirnrunzelnd sah sie in ihr Glas. Wir hatten uns vor etwa fünf Jahren kennengelernt, als ich in der örtlichen Buchhandlung eine Signierstunde gab. Libby hatte beide Newtopia-Romane gelesen, die ich zu dem Zeitpunkt veröffentlicht hatte. Mir erschien das wie ein Wunder, weil ich immer geglaubt hatte, das hätte außer mir selbst allenfalls noch Josh getan, der aufgrund seiner Zwangsstörung immer alle Bücher eines Autors lesen musste, wenn er mit einem anfing. Am Tag nach der Signierstunde hatten Libby und ich uns auf einen Kaffee getroffen und waren seither enge Freundinnen. Natürlich hatte ich ihr sämtliche Zeb-Ross-Geheimnisse anvertraut, und sie erzählte mir, dass sie gerade im Begriff sei, ihren langjährigen Freund Richard für Bob zu verlassen, einen Sohn reicher Eltern aus Kingswear, der Gitarrist in einer Band war und seinen eigenen Comic-Laden eröffnen wollte. Sie redete vom Stricken, vom Essen und vom Lesen, ich erzählte von Populärwissenschaft, vom Essen und vom Schreiben. An Weihnachten in jenem Jahr hatte ich ihr selbstgekochte Marmelade geschenkt, und sie hatte mir den «Stoff des Universums» gestrickt: ein schwarzes quadratisches Kaschmirtuch, das im Kreuzstich mit silbernen Sternen bestickt war. Einmal hatte ich versucht, Christopher damit die Funktionsweise der Schwerkraft zu demonstrieren, aber er meinte bloß: «Das ist doch doof.» Womöglich hatte er sogar recht. Dass B.s gut zerkauter Gummiball als einziger Planet in meinem improvisierten Universum fungieren musste, machte die Sache auch nicht besser.
    «Was ist denn los?», wollte ich jetzt von Libby wissen.
    Sie sah sich im Pub um. Ich hatte mich bewusst für die rote Sitzecke neben der Tür entschieden, weil sie den weitestmöglichen Abstand zur Theke hatte und kaum jemand hören würde, worüber wir sprachen. Neben uns am Zigarettenautomaten stand Joni, der Fischhändler, und redete auf Isländisch auf den Automaten ein.
    «Erzähl ich dir gleich», sagte Libby. «Wie geht’s dir denn?»
    «Ganz gut», antwortete ich. «Kann sein, dass ich gerade die zündende Idee für meinen Roman hatte.»
    «Wie, für deinen Roman -Roman? Für den richtigen?»
    «Genau. Pass auf, wie findest du das? Ich werde das Ganze als Autorennotizbuch aufziehen, genauso wie mein eigenes. Alles absolut nicht-linear und experimentell, und die Leser müssen sich die Geschichte selbst

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