Das Ende der Geschichten (German Edition)
angewiesen bin; und dann habe ich ihm ein paar Kekse angeboten. Aber wenn es doch auftaucht, bin ich geliefert.»
«Warum? Ich dachte, die Story ist, dass es Jugendliche waren.»
«Ja, schon. Aber offenbar beteiligt sich die Polizei in Devon und Cornwall gerade an einem Pilotprojekt; es geht um eine neue Methode, Fingerabdrücke von Gegenständen zu nehmen, die lange unter Wasser waren. Bisher sind die Erfolge wohl ganz gut. Der Polizist meinte, das wäre super, weil man damit, wenn ein Wagen wieder auftaucht, herausfinden kann, wie viele Leute ihn ins Wasser geschoben haben, und meistens auch, wer es war. Ich sagte, das klänge ja toll und irre fortschrittlich, aber dabei hatte ich so was von die Hosen voll.»
«Er wird schon nicht auftauchen. Und falls doch, dann wette ich, dass ihre Technik nicht funktioniert. Bleib einfach bei deiner Version. Was ist denn nun mit Mark passiert?»
«Das war auch wegen dem Wagen. Irgendwie. Und wegen dem Ring. Wir haben uns schrecklich gestritten.»
Mark hatte Geld gespart und Libby zu Weihnachten einen schwarz-silbernen Perlmuttring geschenkt, den sie so gut wie nie trug. Sie kaufte sich zwar manchmal selber Schmuck, aber niemals Ringe, und wusste, dass Bob Verdacht schöpfen würde, wenn er sie damit sah. Deshalb wollte sie den Ring bei Mark in der Strandhütte lassen, um ihn nur zu tragen, wenn sie mit ihm zusammen war. Die Sache endete damit, dass Mark den Ring eines stürmischen Mittwochabends in den Fluss warf, nachdem er ihn nach Dartmouth mitgebracht hatte, weil er glaubte, sie hätte ihn vergessen.
«Meinst du, ich hätte Bob verlassen sollen?», fragte Libby.
«Das darfst du mich nicht fragen», entgegnete ich.
«Mark findet, ich hätte es tun sollen. Lieber das als …»
«Das Auto versenken?»
«Ja.» Sie runzelte die Stirn. «Wie ging noch diese Geschichte mit den Pferden, die du mir mal erzählt hast?»
«Mit Pferden? Ach, du meinst die von Segen und Unheil.»
«Ja. Genau. Erzähl sie mir noch mal. Irgendwie scheint mir, sie könnte helfen, aber ich kann mich überhaupt nicht mehr daran erinnern.»
«Na gut. In der Geschichte geht es um einen Chinesen, seinen Sohn und ihr bestes Pferd. Das Pferd rennt ohne jeden Grund davon und gesellt sich zu einer Gruppe Nomaden jenseits der Grenze. Der Sohn ist ganz außer sich, weil es weg ist, doch der Vater sagt zu ihm: ‹Woher willst du wissen, dass es nicht ein Segen ist?› Ein paar Monate später kehrt das Pferd zurück, in Begleitung eines wunderschönen Nomadenhengstes. Der Sohn ist begeistert, doch sein Vater sagt: ‹Woher willst du wissen, dass das kein Unheil ist?› Der Sohn reitet leidenschaftlich gern auf dem neuen Pferd, doch eines Tages wirft es ihn ab, und er bricht sich das Bein. Alle bemitleiden ihn, nur sein Vater meint – du ahnst es bereits: ‹Woher willst du wissen, dass es nicht ein Segen ist?› Kurze Zeit später greifen die Nomaden an, und alle kriegstauglichen jungen Männer werden in den Kampf geschickt. Die Nomaden rotten buchstäblich sämtliche Männer aus, nur der Sohn wird verschont, weil er ein steifes Bein hat. Und so bleiben er und sein Vater am Leben und können sich weiter umeinander kümmern.»
«So ein selbstgefälliger Vater würde einen doch in den Wahnsinn treiben», sagte Libby.
Ich musste lachen. «Ja. Finde ich auch.»
«Eine schöne Geschichte. Allerdings weiß ich nicht, ob sie mir so viel hilft, wie ich gedacht hatte.»
«Bei der Entscheidung, ob du Bob verlassen sollst, meinst du?»
«Ja. Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass ich die Dinge nicht einfach so weiterlaufen lassen kann. Zumindest jetzt nicht mehr. Das hat auch Mark gesagt. Er war stinksauer wegen dem Wagen. Er meinte, er kann gar nicht fassen, dass ich so viel Aufwand treibe, nur um mich den Tatsachen nicht stellen zu müssen. Das wäre doch die perfekte Gelegenheit gewesen, reinen Tisch zu machen, Bob alles zu erzählen und dann zu ihm zu ziehen.»
«In die Strandhütte?»
«Eben.» Libby seufzte. «Gut, wir würden wahrscheinlich nicht in der Strandhütte bleiben. Aber wenn ich mich von Bob trenne, bin ich arm. Das spielt natürlich keine Rolle. Zumindest sollte es keine Rolle spielen.»
«Vielleicht spielt es aber irgendwann doch eine.»
Ich hatte mit Libby nie über meine finanziellen Probleme gesprochen, wurde aber das Gefühl nicht los, dass sie es ahnte. Wenn wir uns zum Abendessen trafen, verkündete sie jedes Mal: «Heute bin ich aber dran», obwohl sie
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