Das Ende der Geschichten (German Edition)
Wochenende über nichts bis auf das Speed, das ihr ein anderer Typ im Zug geschenkt hatte, und redete ständig davon, nach Indien zu fahren und ihre Chakren zu ordnen. Damals wusste noch niemand etwas mit Chakren anzufangen, doch Rosas Bruder Caleb war in Indien gewesen, und so war sie automatisch Expertin auf diesem Gebiet. Sie ging mit meinem Freund und dem Freund meiner Mitbewohnerin ins Bett, war anschließend völlig aufgelöst, weil sie fürchtete, uns auf ewig vergrault zu haben, und wurde am Sonntag um drei Uhr früh aufgegriffen, als sie versuchte, sich im Ententeich des Stadtparks zu ertränken. Kurze Zeit später wurde sie bei einem Spaziergang durch Hampstead Heath von einem Filmproduzenten entdeckt. Sie ließ seinen Hund Stöckchen apportieren, und er lud sie zum Vorsprechen für eine Rolle in einer großen Fernsehserie ein, bei der es um übernatürliche Vorgänge in einem englischen Dorf ging. Der Legende nach nahm Rosa das Angebot nicht ernst und ging nicht zum Vorsprechen, worauf der Produzent sie ausfindig machte und ihr die Rolle einfach so anbot. Sie spielte die weibliche Hauptfigur: eine Pfarrerstochter mit seherischen Fähigkeiten, die sich in den Geisterjäger verliebt. Rosa erhielt einen BAFTA-Filmpreis dafür und zählte fortan zu den begehrtesten Schauspielerinnen im ganzen Land. Drew, mein einstiger Verlobter, hatte mich einmal einen Monat lang bekniet, sie ihm vorzustellen, um seine Karriere voranzubringen.
«Ich glaube, das wird dich interessieren», sagte meine Mutter jetzt am Telefon.
«Das wage ich zu bezweifeln.»
«Du wirst aber jetzt nicht wieder mit diesem Unsinn anfangen?»
«Was meinst du?»
«Das weißt du ganz genau. Aber wenn du es nicht wissen willst, muss ich dir auch gar nicht davon erzählen.»
«Jetzt hast du ja eh schon angefangen.»
«Na gut. Zum einen hat sie die Hauptrolle in der großen Hollywood-Neuverfilmung von Anna Karenina bekommen. Angeblich kriegt sie mehrere Millionen dafür.»
«So. Wie schön für Rosa.»
«Meg …»
«Was?»
«Du könntest dich schon ein bisschen mehr für sie freuen.»
«Wieso denn? Ich freue mich nicht für sie. Es interessiert mich nicht. Ich meine, wenn es ihr nicht gutginge, würde mich das natürlich schon interessieren; dann hätte ich Mitleid mit ihr und würde ihr wünschen, dass es bald wieder besser läuft. Und klar freut es mich auch irgendwie, dass sie Erfolg hat. Aber ich kann diesem Promizirkus nun mal nichts abgewinnen; das ist doch nur eine etwas abgewandelte Form klischeehafter Erzählungen der Unterhaltungsindustrie mit echten Menschen in den Hauptrollen. Du darfst nicht vergessen, dass ich über Drew einiges davon mitbekommen habe. Er hat sich so gewünscht, an alldem teilzuhaben, und für mich war es das Letzte, was ich wollte. Das ist alles so dermaßen oberflächlich. Wie kommt man überhaupt darauf, Rosa als Anna zu besetzen? Das ist sie doch überhaupt nicht. Anna ist düster und geheimnisvoll. Rosa ist wie ein Rauchwölkchen, wie eine Feder oder eine frisch gepustete Seifenblase. Sie hat zu wenig Substanz, und außerdem ist sie viel zu egozentrisch. Sie wäre eine gute Fürstin Betsy, aber doch keine Anna. Aber wenn es natürlich so ein lahmes Hollywood-Remake wird …»
Ich hörte meine Mutter lachen.
«Was denn?», fragte ich.
«Sind wir vielleicht ein kleines bisschen neidisch?»
«Um Himmels willen. Nein. Ich bin mit meinem eigenen Leben mehr als zufrieden. Hätte ich wirklich Schauspielerin werden wollen, wäre ich doch auf die Schauspielschule gegangen. Und mehrere Millionen will ich auch nicht haben. Ich wüsste ja gar nicht, was ich damit anfangen soll. Außerdem müsste ich mir dann ständig Sorgen um meine Frisur machen und darüber, ob ich auch das richtige Kleid anhabe. So ein Leben zu führen kostet ja gleich wieder Millionen. Können wir jetzt bitte das Thema wechseln, Mum?»
Meine Mutter lachte immer noch. «Tut mir leid, ich sollte dich nicht so triezen. Du weißt doch, wie stolz ich auf dich bin. Eine Tochter, die Bücher schreibt, auch wenn sie keiner kauft, ist mir sehr viel lieber als eine, die ständig über rote Teppiche läuft und in sämtlichen Klatschblättern auftaucht …»
«Du machst es gerade nicht besser», sagte ich.
«Ich weiß. Entschuldige.»
Jetzt mussten wir beide kichern.
«Ach Gott», sagte ich. «Zur Hölle mit Rosa. Wie geht’s Taz? Und Toby? Und den Hunden?»
Für den Rest meines Spaziergangs hörte ich mir an, was meine Mutter über Taz’
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