Das Ende der Geschichten (German Edition)
Auftragsarbeit für den neuen Bahnhof St. Pancras und Tobys seltsamen Freund zu berichten hatte, der darauf bestand, vor dem Abendessen immer ein Tischgebet zu sprechen. Und einer der Hunde hatte seinen Schwanz gejagt und ihn auch tatsächlich erwischt, worauf im ganzen Haus alles voller Blut gewesen war, bis Taz nach seiner Rückkehr sauber gemacht hatte. Nachdem wir beide aufgelegt hatten, schaute ich auf den Fluss hinaus. In der beginnenden Dämmerung sah der dunkel rosafarbene Boden aus wie die weiche Haut an der Innenseite der Schenkel eines gewaltigen Fabelwesens, das am Ufer des Flusses eingeschlafen war, durchsetzt von den Schamhaarbüscheln der dunkelgrünen Bäume und den Narben und Schwangerschaftsstreifen der Straßen. Wenn man das andere Ufer als Bein eines schlafenden Geschöpfs betrachtete, dann war Kingswear der lange, dünne Zeh, den es träge ins Wasser tauchte. Während die Dunkelheit sich über die Hügel senkte, ging ich auf Umwegen zurück nach Hause und dachte darüber nach, wie viel gespenstischer mir die Stille jetzt plötzlich erschien, wie viel besser das Fotoarchiv meiner Mutter wäre, wenn ich ein bisschen mehr wie Rosa sein könnte – und wie viel sinnvoller ihr Familienstammbaum, wenn ich Kinder hätte.
***
Am Freitagabend regnete es in Strömen. Ich war früher als sonst aus der Bibliothek aufgebrochen, hatte B. zu Hause abgeholt und war mit ihr zum Three Ships gelaufen, bevor Christopher zurückkam. Als er am Montagabend heimgekommen war, hatte ich ihn nach den durcheinandergeratenen Büchern gefragt. Er hatte gar nicht richtig zugehört und mir stattdessen den Vorschlag gemacht, ich solle doch einfach mal meinen Zweitschreibtisch aufräumen und vielleicht auch endlich die beiden Aktenschränke verwenden, die er mir gebaut hatte: einen für Meg Carpenter und einen für Zeb Ross. Natürlich stellte ich ihm noch mehr Fragen zu dem Newman-Buch: ob er sich beispielsweise erinnere, es aus dem Umschlag genommen zu haben, und ob dabei möglicherweise etwas herausgefallen sei, ein Brief oder eine Karte etwa, vielleicht sogar von Vi. Doch das führte nur zu einem Streit, an dessen Ende Christopher mir erklärte, wenn ich was dagegen hätte, wie er das mache, könne ich ja meine «Scheißbücher» in Zukunft selber vom Postfach abholen. Der Streit hatte die ganze Woche überschattet, und keiner von uns beiden war so richtig darüber hinweg. Ich hatte mir allerdings fest vorgenommen, mich für meinen Anteil daran erst zu entschuldigen, wenn Christopher sich bei mir entschuldigt hatte.
B. lag mit feuchtem Fell unter dem Tisch im Pub und knurrte jedes Mal, wenn jemand hereinkam. Die Lautstärke dosierte sie so, dass der jeweils Angeknurrte es hören konnte, nicht jedoch Tony, der Wirt, der aber ohnehin die meiste Zeit im Gespräch mit seinen Stammgästen an der Theke stand – und auch nicht George, der Kneipenkater, ein räudiger alter Tiger, der jedes Mal versuchte, B. die Augen auszukratzen, wenn er mitbekam, dass sie da war. Seine eigenen Augen waren allerdings nicht mehr besonders gut, und B. wusste das offenbar, weshalb sie sich auch im Schutz des Tischs hinter meinen Beinen verkroch. Ich versuchte immer noch, mir darüber klar zu werden, wie ich die Recherchen für meinen Artikel anschließend für den Roman wiederverwenden konnte. Meine namenlose Protagonistin hing keinerlei Glauben an: Vielleicht konnte es ihren Glauben an die materielle Welt stärken, wenn ich sie auf eine Odyssee durch die Welt des Teeblattlesens, Löffelverbiegens und der Quacksalberei schickte. Aber ich war mir ja selbst nicht sicher, ob ich an die materielle oder überhaupt irgendeine Art von Welt glaubte.
Ich hatte mein Notizbuch mitgenommen, und während ich darin blätterte und mir eine verworfene Idee nach der anderen durchlas, all die defekten Bremsklötze, die abschließbaren Saunen und ähnliche Peinlichkeiten, kam mir plötzlich eine Idee. Vielleicht war das Notizbuch ja der Roman. Vielleicht könnte sich der ganze Roman innerhalb seiner eigenen Strukturierung abspielen, während die Heldin – vergeblich – versucht, im Notizbuch ihren Roman zu entwerfen. Wie ein Haus, das nur aus Baugerüsten besteht, oder einer dieser Röcke, die die Nähte außen haben. Ich machte mir umgehend eine Notiz – «Notizbuch vielleicht Roman?» Im nächsten Moment erkannte ich, dass diese Notiz über das Notizbuch als Roman auch Teil des Romans sein würde, wenn ich das Notizbuch zum Roman machte, und mir wurde ein
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