Das Ende der Liebe
Menschen sagen, Klischee-Aussehen, diesen Klischee-Beruf, lebte nicht an einem solchen Klischee-Ort. Er käme den Menschen nicht vor wie ausgeschnitten aus ihrer pornografischen Fantasie .
Die Menschen könnten sich selbst also nur dann ein freies Bewusstsein attestieren, wenn sie einen lieben könnten, der ihnen nicht gefällt. Was sie anzieht, stößt sie ab. Und umgekehrt: was sie abstößt, zieht sie an. Denn nur wenn sie sich überwinden könnten, das Abstoßende anziehend zu finden, denken sie, wären sie wirklich frei von allen Mustern und Mechanismen.
Eine Frau pries vor Bekannten ihren Partner mit den Worten: »Er ist so wunderbar anders als alles, was ich mir unter einem Idealpartner vorstelle. Er weicht ab vom gängigen Schönheitsideal. Er ist nicht einer dieser Klugen, Erfolgreichen, Redegewandten. Er lebt in Stuttgart.« Diese Frau war stolz, einen gewählt zu haben, der ihren Vorstellungen zuwiderlief . Ihr Idealpartner war ein Anti-Ideal-Idealpartner. Sie liebte diesen Mann nicht, gewiss. Doch sie konnte sich selbst lieben in der Wahl dieses Mannes.
Sie sagte: »Meine Wahl ist nicht neurotisch und angepasst, sondern unabhängig und originell.« Immer, wenn die Frau dagegen einem Mann begegnet war, der alles besaß, was sie sich ersehnte, fühlte sie sich schmutzig und dumm, als Sünderin wider den Heiligen Geist der Aufklärung und der Psychotherapie. Nun aber würde sie endlich Buße tun, vielleicht ihr Leben lang. Sie würde das Gegenteil ihrer Wünsche ertragen (und dabei unerträglich finden), aber: sich frei fühlen.
[260] Sie sagte: »Dieser Mann nimmt mein Bewusstsein nicht gefangen. Mein Bewusstsein verklebt sich nicht vor lauter Erregung und Erfüllung, es wird nicht zur Leinwand eines klischeehaften Films.«
Die freien Menschen haben also auch die Freiheit, das, was sie ersehnen, abzulehnen. Sie wollen nicht, was sie wollen; und sie wollen, was sie nicht wollen. Ihre Freiheit ist die Freiheit, gegen sich zu sein – therapeutisch, soziologisch und ästhetisch.
Die Menschen wollen sich tatsächlich besonders von dem befreien, was sie selbst wollen. Sie verurteilen ihre Wünsche und Begierden, kritisieren ihre Gedanken und ihren Geschmack. Sie machen Therapie und Diät, sie denken nach und um. Die Bastille, die die freien Menschen erstürmen wollen, ist ihr Selbst – ihr Wille, ihre Lust, ihr Hunger, ihr Durst.
Freiheit muss sich immer im Kampf behaupten, sich spürbar machen im Widerstand gegen etwas, und da den Menschen nichts mehr widersteht außer sie selbst, kämpfen sie eben gegen sich selbst, spüren sie ihre Freiheit im Widerstand gegen sich selbst.
Auch wenn etwas von außen auf sie eindringt, ein Chef, ein Partner, sehen sie vor allem den Eigenanteil an dem Konflikt, machen den Konflikt zum Kampf ihres Bewusstseins mit sich selbst.
Ihre Freiheit äußert sich also in dem Satz: »Ich bin unfrei.« Wenn die Menschen am Abend von der Arbeit, also ihrem Kampf erzählen, erzählen sie vom Kampf gegen sich selbst. Wenn sie mit ihrem Chef ringen, ringen sie mit sich selbst – mit ihrer Selbstkontrolle , ihrer Kompromissbereitschaft . Auch wenn sie von der Liebe, also von ihren Versuchen zu lieben, erzählen, erzählen sie vom Kampf gegen sich selbst. Die [261] freien Menschen versuchen permanent, sich selbst zu überwinden, ihren Willen gegen ihren Willen zu wenden.
Tatsächlich ist ja die Erregung, gegen die das Bewusstsein sich wehrt, weil es die Erregung als ein Muster, einen Mechanismus erkennt, ebenfalls das Ergebnis einer Freiheit, ebenfalls ein Unternehmen des Selbst. Die freien Menschen wollen ihre Freiheit einerseits wahrnehmen als Freiheit zur Erregung – zu einem möglichst intensiven Leben. Das Ziel ihres Lebens ist es, möglichst viel zu fühlen. Andererseits nehmen sie ihre Freiheit wahr als Freiheit, ich selbst zu sein. Ihr Lebensziel ist es, sich von allem Einfluss zu befreien, möglichst authentisch und originell zu sein.
Die Menschen sind also permanent auf der Suche nach Erregung und zugleich permanent bemüht, ihr Bewusstsein von jeder Erregung zu befreien, sich von jeder Verschmelzung und Selbstaufgabe zu befreien, sie selbst zu sein. Sie wollen den Rausch und die Klarheit. Sie sagen: »Unbewusst – höchste Lust!« Aber auch: »Total bewusst – höchste Lust!«
Sie haben ein Erregungsselbst und ein Bewusstseinsselbst, ein Rauschselbst, das die eigene Auflösung betreiben will, und ein Selbstselbst, das jeder Auflösung entgegenarbeitet. Sie wollen sich
Weitere Kostenlose Bücher