Das Ende der Männer: und der Aufstieg der Frauen (German Edition)
Kollege, der etwa zur gleichen Zeit wie ich eingestellt worden war, aber über weit weniger Erfahrung verfügte, mehr verdiente als ich. Er prahlte damit sogar am Telefon gegenüber einem Freund, und ich bekam das im Großraumbüro live mit. Natürlich war ich wütend. Ich schrieb eine relativ freundliche Nachricht an meinen Chef und bat ihn um eine Gehaltserhöhung, allerdings schlich sich meine Verstimmung irgendwie zwischen die Zeilen – vielleicht verwendete ich sogar das Wörtchen »ungerecht«. Mein Chef reagierte völlig entsetzt und enttäuscht. »Ich dachte, wir hätten ein gutes Arbeitsverhältnis«, begann seine E-Mail, und danach kam es noch schlimmer. Mir war das sehr peinlich, ich schämte mich so, dass ich mich sogar entschuldigte. Ja, ich entschuldigte mich! Und weil ich keine clevere Geschäftsfrau wie Sallie Krawcheck bin, muss ich an dieser Stelle beschämt zugeben, dass ich nie wieder um eine Gehaltserhöhung bat.
Ich weiß, dass dieser Vorfall zum Standardrepertoire der gestörten Geschlechterbeziehungen in der Arbeitswelt gehört. Meine gekränkte, weinerliche E-Mail, die entsetzte Reaktion meines Chefs, weil ich mich beschwerte, meine Entschuldigung und meine fortan geübte Zurückhaltung – das alles sind Beispiele dafür, wie sich Frauen auf keinen Fall am Arbeitsplatz verhalten sollten, wenn sie den unvermeidlichen Vormarsch ihres Geschlechts an die Spitze beschleunigen wollen.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends stellte man sich in der Forschung die Frage, warum die Einkommen von Frauen stagnierten. Frauen machten immer noch in größerer Zahl einen Hochschulabschluss als Männer und strömten in die lukrativen Berufe, doch ihr Einkommen, vor allem an der Spitze, schnellte nicht weiter nach oben. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Linda Babcock stieß auf eine relativ einfache Erklärung. Sie leitete ein PhD -Programm an der Carnegie Mellon University, als sich eine Gruppe Doktorandinnen beschwerte, dass sie im Gegensatz zu den Männern keine eigenen Klassen unterrichten durften. Babcock stellte den verantwortlichen Dekan zur Rede und erfuhr, dass die Frauen »einfach nicht fragen« und daher auch keine eigenen Klassen zugeteilt bekamen.
Babcock fragte sich, ob das auch für andere Bereiche galt, und ging der Sache auf den Grund. Sie befragte ehemalige Studenten der Carnegie Mellon University, die kürzlich ihren Abschluss gemacht hatten, nach ihrem Anfangsgehalt im neuen Job. Wie sich herausstellte, hatten 57 Prozent der Männer über ihr Einstiegsgehalt verhandelt, aber nur 7 Prozent der Frauen, obwohl ihnen die Berufsberatung der Universität dringend dazu geraten hatte. Infolgedessen lag das Einstiegsgehalt der Männer im Durchschnitt um 7,6 Prozent über dem der Frauen.
Ich kann Babcocks Erkenntnisse durch eine Anekdote aus meinem eigenen Leben bestätigen. Seit drei Jahren gebe ich den Frauenteil des Online-Magazins Slate heraus. Etwa 10 Prozent der von mir betreuten Autoren sind Männer. Online-Magazine zahlen nicht sehr viel für Artikel, und im Budget gibt es nur wenig Spielraum, aber manchmal, unter bestimmten Umständen, lässt sich etwas machen. Den Frauen würde das jedoch nie auffallen. In all den Jahren fragten mich nur vier von mehreren Dutzend Frauen, mit denen ich zusammenarbeite, ob sie mehr Geld bekommen könnten. Und nur zwei der Männer verkniffen sich die Frage.
Babcock ist Wirtschaftswissenschaftlerin, daher wandte sie ein bisschen Mathematik an und kam zu folgendem Ergebnis: Selbst wenn ein Mann nie wieder um eine Gehaltserhöhung bittet und er und seine Kollegin während ihres übrigen Berufslebens beide hin und wieder eine Erhöhung um 3 Prozent erhalten, wäre der Mann mit seinem um 7,6 Prozent höheren Ausgangsgehalt bis zur Rente um eine halbe Million Dollar reicher als die Frau – was dem Unterschied zwischen einer winzigen Wohnung in einem Vorort von Miami und einer luxuriösen Doppelhaushälfte in Sarasota entspricht.
Angesichts der aktuellen Wirtschaftssituation in den USA wirkt diese Erkenntnis besonders brisant. Heutzutage wechselt fast jeder Arbeitnehmer irgendwann die Firma. Babcock weist darauf hin, dass bereits im Jahr 2000 ein Viertel der Arbeitnehmer angab, seit weniger als einem Jahr für ihren aktuellen Arbeitgeber tätig zu sein. Arbeitnehmer wechseln von einer Stelle zur anderen, und jedes Mal wird über Arbeitszeit, Geld und Zusatzleistungen verhandelt. Die Arbeitgeber bieten ihren Angestellten verschiedene Aktienoptionen, Zusatzleistungen
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