Das Ende der Männer: und der Aufstieg der Frauen (German Edition)
zuständig war, betrachtete das neue Konzept mit Argwohn. Sie und Pandit waren sich in vielen Dingen uneinig, und dieses Mal beschloss sie, ihre Einwände in der Besprechung vorzubringen. Anders als viele alteingesessene Finanzinstitute war Citigroup ein Unternehmen, wo man »auch mal auf den Putz hauen« konnte, wie Krawcheck mir sagte. Eine Besprechung, in der man schrie und sich anbrüllte, war nichts Außergewöhnliches. Krawcheck stellte also die neuen Autoritätsstrukturen in Frage. »Was ist, wenn ich ›hüh‹ sage und derjenige, der für Asien zuständig ist, sagt ›hott‹? Wenn wir uns nicht einigen können? Was ist dann?«, fragte sie und deutete an, dass das neue System für eine »Lähmung« sorgen könnte.
Bis dahin war Krawcheck, die »Queen der Wall Street«, ein Liebling der Wirtschaftsmedien gewesen. Mehrere Jahre lang stand sie in der Liste der zehn mächtigsten Frauen der Welt, die das Magazin Forbes kürte. Fortune führte sie in einem 2002 erschienenen Artikel mit dem Titel »In Search of the Last Honest Analyst« (Auf der Suche nach dem letzten ehrlichen Analysten) als rühmliche Ausnahme an – ein ungeheures Kompliment in einer Branche, die gleich nach dem US -Kongress den zweiten Platz im Hinblick auf öffentliches Misstrauen und Verachtung belegt. Krawcheck ist groß und schlank, adrett gekleidet, blond und gutaussehend und hat einen Südstaatenakzent, doch die Medien mochten sie vor allem aus dem Grund, aus dem auch ich sie bei unserem Gespräch auf Anhieb sympathisch fand: Sie war ehrlich und direkt. Einmal scherzte sie in einem Interview: »Wie erkennt man, dass ein Manager lügt? Er bewegt die Lippen« – ein Zitat, das sie seitdem begleitet und in fast jeder Darstellung über sie zu finden ist. Bei einem von Forbes veranstalteten Kongress für Führungskräfte erzählte sie den Zuhörern, ihr erster Mann habe eine Affäre gehabt, weil sie zu viel gearbeitet habe und er neidisch auf sie gewesen sei. Sie war zwar direkt, aber keine Diva, die laut herumschrie. Sie wusste ihren Südstaatencharme einzusetzen und war bei den verschiedenen Banken, für die sie schon gearbeitet hatte, bekannt für ihren unermüdlichen Einsatz für ihre Mitarbeiter. Sie hatte Manieren und behandelte andere stets höflich. »Wenn sie einmal fluchte, dann nur leise zu sich selbst«, sagte einer ihrer ehemaligen Kollegen.
Doch am Tag nach der Besprechung wandten sich die Medien gegen Krawcheck. Das Wall Street Journal berichtete im Internet, Krawcheck würde Pandits Mikromanagement nicht unterstützen und ihn öffentlich herausfordern. Der Begriff »Lähmung« wurde in Blogs und Artikeln aufgegriffen. Krawcheck wurde kritisiert, sie sei illoyal und habe die Beherrschung verloren. »Mistkerle«, dachte sie damals, »ich habe nicht einmal die Stimme erhoben. Ich habe nicht herumgebrüllt.« Der ganze Vorfall erschien ihr »total harmlos«, verglichen mit dem, wie es sonst bei den Montagmorgensitzungen zuging, vor allem wenn man bedachte, dass es eine aufrichtige, grundlegende Meinungsverschiedenheit gab. Sie war verblüfft, dass die Geschichte dem Wall Street Journal überhaupt einen Artikel wert war.
Aber dann fiel ihr ein, was ihr bei einer Montagsbesprechung vor einigen Wochen passiert war. Eine Kollegin hatte sich über irgendetwas empört und herumgeschrien, und »ich weiß noch ganz genau, dass sich in meinem Kopf das Wort ›Schlampe‹ formte«. So wie es ihr mit der Kollegin ergangen war, hatten andere empfunden, als sie Pandit kritisierte. Die Männer konnten sich bei den Montagsbesprechungen ohne weiteres gegenseitig kritisieren – ja sie konnten brüllen und Sachen durchs Zimmer werfen und »Nur über meine Leiche!« oder »Idiot« und »Scheißkerl« schreien. Bis zum Mittag war die Auseinandersetzung schon wieder vergessen. Aber wenn sich eine Frau so verhielt, machte sie Schlagzeilen. Nicht weil die Wall Street sexistisch war, Vorurteile gegen Frauen hegte oder noch in den Vorstellungen von »hübschen kleinen Mädchen« gefangen war, wie man sie aus Mad Men kannte, sondern weil man instinktiv zusammenzuckt, wenn sich eine Frau kämpferisch gibt und zum Schwert greift. Krawcheck bezeichnet diesen Vorgang als the Twitch (das Zusammenzucken).
Die meisten berufstätigen Frauen wurden wahrscheinlich schon einmal Opfer von diesem Twitch . Mir passierte das schon relativ früh in meiner Laufbahn. Als junge Journalistin bei der Washington Post fand ich eines Tages heraus, dass ein männlicher
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