Das Ende der Männer: und der Aufstieg der Frauen (German Edition)
einer ganzseitigen Anzeige, die im Jahr 2009 in mehreren koreanischen Zeitungen erschien. Der Text der Anzeige las sich wie ein privates Tagebuch oder ein schriftliches Geständnis oder ein Hilferuf. Er hatte keine Unterschrift, und viele vermuteten, dass es sich um eine clevere Werbung für irgendein neues Deodorant oder Make-up oder für eine der Seifenopern handelte, die tagsüber im südkoreanischen Fernsehen laufen. Doch für diesen Zweck war die Anzeige eigentlich zu realistisch und nicht romantisch genug. Der Text lautete:
Ich bin vielleicht eine gute Angestellte, aber für meine Familie bin ich ein Fehlschlag. In ihren Augen bin ich eine schlechte Schwiegertochter, eine schlechte Ehefrau und eine schlechte Mutter. Ist mein Beruf es wert, auf diese Weise abgestempelt zu werden? …
Ich will meine Last mit anderen teilen. Ich sehne mich verzweifelt nach Worten der Unterstützung, etwa, dass ich im Begriff bin, Größeres zu erreichen, oder dass ich jetzt nicht aufgeben sollte. Ich brauche eine Familie, die mich durch schwierige Zeiten begleitet. Ich brauche eine Familie, die immer für mich da sein kann.
Nach einiger Zeit identifizierten die koreanischen Medien die 36-jährige Hwang Myeong-eun als Urheberin des Textes. Sie hatte die Anzeige selbst finanziert und genau aus den Gründen aufgegeben, die in ihrem Text genannt sind. Sie sei »verzweifelt«, sagte sie, als wir uns im Winter in ihrem Büro trafen. Ihr Sohn war damals vier, und sie war Finanzchefin einer der größten Werbefirmen in Südkorea. Sie arbeitete täglich 16 Stunden, verließ jeden Tag das Haus, als ihr Sohn noch schlief, und kam nach Hause, wenn er wieder im Bett war. Sie verdiente mehr als ihr Mann, aber das wurde nie ausgesprochen. Und es hatte keinen Einfluss auf die traditionelle Verteilung der Hausarbeit. Er half nie im Haus, und sie war es, die immer die bösen Anrufe von der Schwiegermutter bekam: »Hast du vergessen, dass heute der Gedenkgottesdienst für deinen Schwiegervater ist? Die anderen Mitglieder deiner Familie sind schon da. Ich weiß, dass du sehr begabt bist und so, aber erfüllst du jemals deine familiären Verpflichtungen?« Zur Verzweiflung getrieben hatte sie schließlich, dass ihr Sohn eines Tages erwachte, bevor sie das Haus verließ, und sie an der Haustür erwischte. Er wollte ihr sein Lieblingslied vorsingen, bevor sie ging, »und ich musste ihn mittendrin unterbrechen, weil ich wegmusste«.
Berufstätige Mütter mögen überall auf der Welt Grund zur Klage haben, aber in Südkorea stehen sie unter unvorstellbarem Druck. Der Arbeitstag in Südkorea ist der zweitlängste alle Industriestaaten nach dem in Japan. Büroangestellte arbeiten in der Regel bis 20 oder 21 Uhr, und oft wird von ihnen erwartet, dass sie danach noch mit ihren Kollegen oder Kunden etwas trinken gehen, die südkoreanische Extremversion von Kontaktpflege und Netzwerken. Durch die Frauen, die den Arbeitsmarkt überschwemmen, wurden diese Feierabendrituale zwar gestört, aber nicht grundsätzlich verändert. In den Bars werden immer noch mehrere Runden süßer wodkaartiger Soju gebechert. Bei Bewerbungen wird man gefragt, wie viele Flaschen Soju man an einem Abend trinken kann, und die weiblichen Aufsteigerinnen haben das Gefühl, mit den Männern mithalten zu müssen. Manchmal landen die Kollegen irgendwann später noch in einem »Salon«, einer Art Nachtclub, in dem attraktive Bedienungen die Drinks servieren. Die meisten Frauen verabschieden sich an diesem Punkt, aber einige gehen mit einem Seufzer mit. Dann schlagen sie sich mit den Kollegen eine unbehagliche Nacht um die Ohren oder versuchen, mit den Bedienungen ins Gespräch zu kommen.
Die asiatische Gesellschaft wird als familienorientiert klischiert, aber dieses Klischee gilt nur für eine Ära, in der die meisten Frauen noch reine Hausfrauen waren. Die Arbeitsplätze im größten Teil Asiens sind völlig unvereinbar mit irgendeiner Art von häuslichem Leben. Flexible Arbeitszeiten oder Teilzeit sind unbekannt, und Frauen nehmen in der Regel ungern länger als einen oder zwei Monate Mutterschaftsurlaub. Trotzdem haben sich die Hausfrauenpflichten einer südkoreanischen Ehefrau seit der Jahrhundertwende kaum geändert: Es wird erwartet, dass sie kocht, das Haus selber putzt und sich um ihre eigenen Eltern und die Schwiegereltern kümmert. Außerdem soll sie in diesem ultrakompetitiven Zeitalter auch noch den unglaublich komplizierten Terminplan der außerschulischen Aktivitäten ihrer
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