Das Ende der Männer: und der Aufstieg der Frauen (German Edition)
bittet Sie, ihm einen Kaffee zu holen. Würden Sie es tun?« Yongah antwortete: »Nur wenn er mir auch Kaffee holen würde.«
»Allein schon, dass man mir solche Fragen stellte, war ein Hinweis, dass ich Beschränkungen unterworfen würde«, sagte sie. »Koreanische Firmen sind sehr hierarchisch. Ich hätte anfangs Dokumente kopieren müssen. Ich habe eine sehr gute Hochschule besucht. Ich kann mehr als kopieren.« In einer ausländischen Firma konnte ein neuer Mitarbeiter in der gleichen Besprechung wie der Firmenchef sitzen oder in Teams mit sehr viel älteren Mitarbeitern arbeiten. All das war in einer koreanischen Firma undenkbar.
Inzwischen arbeitet Yongah seit zehn Jahren bei McKinsey Consulting. Sie ist inzwischen verheiratet und hat einen Sohn. Ihr Arbeitstag beginnt morgens um acht oder neun und endet gegen zwanzig Uhr. Das ist immer noch lang, aber für südkoreanische Maßstäbe vernünftig. Sie nimmt sich die Freiheit, nach Dienst manchmal nicht mit in die Bar zu gehen, und lädt dafür immer wieder einmal Kunden zum Mittagessen oder zum Tee ein oder schenkt ihnen ein Buch. Sie hat festgestellt, dass diese Alternativen manchen Kunden lieber sind, weil sie dadurch auch ein paar Abendstunden für sich gewinnen. Wenn Yongah heute darüber spricht, wie sie ihr Arbeits- und ihr Privatleben managt, hört sie sich wie eine ehrgeizige amerikanische Frau an – gestresst, aber nicht verzweifelt. »Es ist mal so, mal so. Wenn ich zu einem Lehrer meines Sohnes in die Sprechstunde muss, kann ich um 16 Uhr gehen und meine Arbeit am Abend beenden oder von daheim aus an einer Telefonkonferenz teilnehmen. Wenn es ein unvermeidbares Familienereignis ist, versuche ich hinzugehen, aber ich will auch meine berufliche Karriere nicht aufs Spiel setzen. Es kommt jedenfalls immer auf meine persönliche Entscheidung an.«
Einem Forschungsteam an der Harvard Business School unter Leitung des Wirtschaftswissenschaftlers Jordan Siegel fiel auf, dass ausländische Firmen nicht nur in Südkorea, sondern auch in vielen anderen Schwellenländern in Asien, Lateinamerika und Osteuropa angefangen haben, immer mehr einheimische Frauen als Führungskräfte einzustellen. Als Siegel sich die südkoreanischen Beispiele genauer ansah, fand er den Grund dafür. Das plötzliche Interesse an weiblichen Führungskräften war nicht durch ein Gerechtigkeits- oder Gleichheitsgefühl motiviert, sondern durch ein scharfes Auge für eine neue Art von Wettbewerbsvorteil. In den betroffenen Ländern machen jedes Jahr sehr viele Frauen einen Abschluss an Universitäten und Fachhochschulen, aber nur relativ wenige finden einen Job. In Südkorea zum Beispiel arbeiten nur 60 Prozent der Frauen mit Hochschulabschluss – die niedrigste Rate aller OECD -Länder. Und wenn sie eine Stelle in einer einheimischen Firma finden, haben sie Schwierigkeiten, überhaupt die Karriereleiter emporzusteigen.
Ausländische Firmen machen sich dieses Missverhältnis inzwischen zunutze, indem sie zu einem relativ niedrigen Gehalt die höchstqualifizierten weiblichen Führungskräfte einstellen und sie durch ihre humaneren Arbeitsbedingungen halten. Warum sie das erst jetzt tun? Fünfzehn Jahre zuvor hätte die Beschäftigung von Frauen noch negative Auswirkungen gehabt. Einheimischen Kunden hätte es widerstrebt, mit Frauen Geschäfte zu machen. Ihr Sexismus und ihre Frauenverachtung sind noch in der Antwort enthalten, die ein koreanischer Finanzmanager Siegel gab, als dieser ihn nach seiner Anstellungspraxis fragte. (Seine Antwort ist noch die schwächste Beleidigung in der Studie.) »Ich habe keine weiblichen Manager … «, sagte der Mann. »Ich habe festgestellt, dass die Frauen durch ihre emotionale Art, Entscheidungen zu treffen, eingeschränkt sind und dass das Probleme verursacht.« Solche Einstellungen sind auch heute noch vorhanden, aber sie haben sich immerhin so stark abgeschwächt, dass ausländische Firmen in Südkorea damit durchkommen, wenn sie ein paar weibliche Führungskräfte mehr einstellen. Mit anderen Worten, die Welt befindet sich gerade in einem Übergangsprozess: Sie nimmt widerstrebend zur Kenntnis, dass die Frauen im Begriff sind, Machtpositionen zu erobern, aber sie ist noch nicht bereit, es zu akzeptieren. Für die Firmen jedoch, die das Risiko eingehen, lohnt es sich, wie Siegel herausfand. Er stellte fest, dass eine Firma langfristig mehr Gewinne abwirft, wenn sie mehr weibliche Führungskräfte einstellt. In Zahlen ausgedrückt: Wird die Anzahl
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