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Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Titel: Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heller
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übers Wasser, und in den Zwischenräumen hingen alte Spinnennetze, die der Wind bewegte und deren Fäden im Licht pulsierten.
    Ich packte die vier in Stoff eingeschlagenen Teile der Angel aus und steckte sie zusammen. Ich orientierte mich an den Schnurlaufringen und verdrehte die glänzenden Hülsen, bis sie nahtlos ineinander passten. Es handelte sich um eine kleine Steckrute von Sage, die ich seit meiner Schulzeit besaß. Mein Vater hatte sie mir an meinem sechzehnten Geburtstag geschenkt, kurz nachdem ich bei ihm eingezogen war. Er starb ein Jahr später an Bauchspeicheldrüsenkrebs, ohne mir das Angeln beigebracht zu haben, das ich mir letztendlich selbst beibrachte beziehungsweise von Onkel Pete lernte.
    Ich zog die Angelrolle von Orvis aus dem Rucksack, die er mir zusammen mit der Rute geschenkt hatte und die ich selbst dann gereinigt und geölt und in Schuss gehalten hatte, als in meinem Leben sonst gar nichts glattlief. Ich führte den Zapfen in die Aluminiumausbuchtung an der Oberseite des Korkgriffs ein und drehte die Mutter fest. In die Flügel war ein Rautenmuster eingraviert, das Daumen und Zeigefinger Halt gab. Sie ließ sich leicht drehen und fest verschließen.
    Alles daran, die Bewegungen, der Ablauf, die Stille, das Glucksen des Baches, die geriffelte Wasseroberfläche, das Windrauschen in den Nadeln der hohen Bäume. Wie ich die Angelschnur auswarf. Ich habe das hunderte Male, inzwischen wohl tausende Male gemacht. Es war ein Ritual, bei dem ich nicht mehr nachdachte. Wie Sockenanziehen. Mit dem Unterschied, dass dieses Ritual mich mit etwas in Verbindung brachte, das mir rein erschien. Beim Angeln hatte ich immer schon das Gefühl, das Beste aus mir rauszuholen. Meine Aufmerksamkeit und Umsicht, meine Risikofreude, meine Liebe. Meine Geduld. Und was sonst noch dazugehörte. Ich fing kurz nach Paps Tod mit dem Angeln an, und ich angelte so, wie er es meiner Vorstellung nach getan hätte. Was mir aus heutiger Sicht ein wenig merkwürdig vorkommt: Ich versuchte, einen Mann nachzuahmen, den ich nie mit einer Angel in der Hand gesehen hatte, und das mit der Entschlossenheit eines Sohnes, dem dieser Mann kaum je ein Vater gewesen war.
    Als in der Highschool meine Freundin mit mir Schluss machte, ging ich angeln. Als ich in einem Anfall von Verzweiflung mit dem Schreiben aufhörte, ging ich angeln. Ich angelte, als ich Melissa kennenlernte und kaum zu hoffen wagte, dass ich jemanden gefunden hatte, den ich mehr lieben konnte als mich selbst. Ich angelte und angelte und angelte. Als die Forellen krank wurden, angelte ich. Und nachdem die Grippe sie in einer provisorischen Klinik dahingerafft hatte, dem ehemaligen Clubhaus der Rotarier, in dem sich die Kranken und Sterbenden drängelten, keine fünfhundert Meter von unserem Haus entfernt, ging ich angeln.
    Ich durfte sie nicht begraben. Sie wurde verbrannt, zusammen mit den anderen. Ich ging angeln. Im wachsenden Chaos der schwindenden Vorräte, der Aufstände und der immer längeren Warteschlangen an den Tankstellen ging ich angeln. Ich hatte längst auf Karpfen umgesattelt, nur um rauszukommen und dem gewundenen Fluss zu folgen, den Windungen und Stimmungen, die ich so gut kannte wie den Körper meiner toten Frau.
    Während all der Jahre auf dem Flughafen habe ich immer wieder meine Angelrute in die Berge getragen. Ich habe den Rucksack abgestellt und die Rute zusammengesteckt und ruhig geatmet, und Jasper verstand das unausgesprochene Kommando und legte sich an einer Stelle am Ufer nieder, von der aus er alles im Blick hatte. Ich zog meine leichten Angelschuhe an, Gummistiefel mit Profil, und stieg über die glatten Steine, die an der Luft staubig grau waren, ins Wasser. Sobald die Flusskiesel in Kontakt mit Wasser kamen, blühten sie in allen Farben auf, in allen Grün- und Blautönen. So wie ich. Zumindest fühlte es sich so an, wenn die Kälte meine Füße erschreckte und sich an meine Waden schmiegte.
    Auf die Schuhe verzichte ich inzwischen. Ich mag das Gefühl des kalten Wassers an meiner Haut.
    Ich dachte nach, erinnerte mich daran, als ich dem Trampelpfad in Richtung der Berge folgte. Ich dachte daran, dass ich seit über einem Jahr nicht mehr oben gewesen war, den ganzen vergangenen Sommer nicht, und ich fragte mich, warum. Ich wünschte mir, ich hätte die Angel dabei, und Jasper, und einen Rucksack mit Proviant für einen Tag, aber kein Gewehr, Bangley sollte sich zum Teufel scheren, ich würde nicht einmal so tun , als wollte ich auf die

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