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Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Titel: Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heller
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diesem unbewussten Summen, das ich tagtäglich bei der Arbeit machte. Immer derselbe Singsang. Mein Trost. Ich zog eine Rille für die Bohnen, streute sie hinein, deckte sie zu und klopfte die Erde fest. Beim Graben hatte sich Erde auf meine behaarten Unterarme gelegt wie ein schwarzes Fell, und ich schmierte sie mir ins Gesicht, wenn ich mir mit dem Handrücken die Nase rieb. Vom künstlich angestauten Teich zog ich einen flachen Graben bis zum Ende des Gartens, den ich mit der Spatenspitze in vier Arme unterteilte, über die das Wasser zwischen die Ackerfurchen lief. Die silbrigen Rinnsale auf der frisch umgegrabenen, schwarzen Erde verfärbten sich rot wie geschmolzenes Metall, als die Sonne tiefer stand. Rechts und links davon verdunkelte sich die Erde. Spätestens in der Nacht würde der ganze Garten gegossen sein.
    Ich war müde. Morgen würde ich den Rest pflanzen, die Tomaten und den Mais. Am nächsten Tag, falls das Wetter gut wäre, würden Jasper und ich den Schlitten nehmen und diesmal auch die Angelrute und einen Jagdausflug ins Gebirge machen.
    Die Hirsche trieben sich in der Ebene rum, aber aus irgendeinem Grund waren sie so klug, sich vom Flughafen fernzuhalten. Ich hatte nicht viel Glück dabei gehabt, ihnen auf der offenen Prärie nachzustellen. Ich war ein Bergjäger und wollte sowieso da rauf, bevor der Pegel der Bachläufe zu hoch anstieg.
    Manchmal legte Bangley sich im ersten Stock seines Hauses auf einem Sandsack ins geöffnete Fenster und übte Distanzschüsse. Einmal erwischte er zwei Grauwölfe in großer Entfernung; von da an hielten auch die sich fern. Er nähte sich das Fell des einen an die Kapuze seines Winterkampfanzugs und stolzierte damit herum wie mit einer Trophäe.
    Ich stand vor dem neu angelegten Garten und schaute zu, wie die Sonne die Bergkämme berührte und die umgegrabene Erde und die Rinnsale glühen ließ, und ich kann sagen, das Gefühl, das sich in mir regte, war eine Art von Glück.
    Ich hätte es niemals so genannt. Nicht damals. Aus Angst. Aber heute kann ich es zugeben.
    Komm, Jasper.
    Ich rammte den Spaten in die Erde, drehte mich zum Hangar um und hörte das gedämpfte Klappern, als Jasper sich schüttelte und mir nachgetrottet kam.
    *
    Für ein paar Tage nur, sagte ich. Drei vielleicht.
    Ich packte zwei Vierliterbeutel von Jaspers Dörrfleisch unten in meinen Rucksack. Den Ekel hatte ich längst überwunden. Mein Onkel Pete hätte gesagt, man gewöhnt sich daran, über die tote Ziege auf der Schwelle zu steigen. Wie sieht es mit toten Menschen aus?
    Warum drei?, fragte Bangley.
    Ich packte meine braune Daunenjacke ein, die dicke, gefleckte, die ich Ende zwanzig bei Cabela bestellt und seither auf jeden einzelnen Ausflug mitgenommen hatte. Darauf legte ich mein eigenes Dörrfleisch, das aus Wild, und die zusammengefaltete Nylonplane, aus der wir uns unseren Unterschlupf bauen würden, und dazu eine Rolle mit Fallschirmleine.
    Warum so viele, drei? Da oben liegt jede Menge Schnee, Hig. Die Hirsche sind bestimmt weiter unten.
    Weil mir nichts Besseres einfiel, sagte ich: Bei meiner letzten Wanderung im November habe ich Elchspuren gesehen. Ich schwöre es. Ich weiß, du hältst mich für verrückt, aber ich habe sie gesehen. Die Spuren einer großen Kuh. Ich werde mich mal umsehen. Verdammt, stell dir vor, wir hätten einen Elch.
    Ich sah ihm nicht ins Gesicht. Schweigen.
    Wir waren wie ein altes Ehepaar, das sich die wichtigsten Wahrheiten nicht mehr sagen konnte. Ich hatte Melissa nie angelogen, nur ein einziges Mal, ich hatte so getan, als wäre ich überzeugt, dass sie die Grippe überstehen würde. Sie wusste, dass ich log, aber sie nahm es mir nicht übel. Sie war längst schon zu krank, um sich Gedanken ums Überleben zu machen. Sie litt an unstillbarem Erbrechen und Durchfall, und in ihren Lungenflügeln wütete die Entzündung, und ich hatte unendliche Angst. Am Ende wollte sie nur noch, dass es vorbeiging. Kissen, flüsterte sie. Ihre Augen waren glasig und ihr Blick unstet, ihr Haar schweißnass und ihre Hand furchtbar leicht, wie ausgetrocknet in meiner. Und kalt. Kissen. Ich weinte. Ich versuchte mit aller Kraft, es zu unterdrücken, nicht zu weinen, während mir meine Welt und alles, was von Bedeutung war, durch die Finger rann. In einer Art Übersprungshandlung rückte ich das Kissen hinter ihrem Kopf zurecht, aber ich wusste nicht, was sie genau von mir wollte, also schob ich es ein bisschen zusammen und hob damit ihren Kopf an.
    Nein, atmete sie.

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