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Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Titel: Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heller
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steigendes Pferd oder eine uralte Ulme, und man konnte die Augen schließen, die Finger an die raue Oberfläche legen und die muskulösen Flanken des Hengstes fühlen, die runzlige Rinde des ausladenden Baumes.
    Mein Lieblingsbuch war ein illustrierter Naturführer über Teichbewohner, in das ein kleines Kind mit Buntstift unter das Bild des Otters geschrieben hatte:
    Ich liebe Otter
    Unter die Bisamratte:
    Ich liebe Bisamratten
    Biber:
    Ich liebe Biber
    *
    Ich lief im Dunkeln am Turm vorbei. Der Pfad zwischen den Büschen reflektierte das Licht der Milchstraße, so dass seine Biegungen deutlich zu erkennen waren. Ich schritt über den Zielpunkt hinweg, über die schwarzen Flecken, die keine Schatten waren. Ich erschauderte nicht und fühlte auch sonst nicht viel. Nur den Wind. Er kam aus westlicher Richtung, von den Bergen runter, und hätte kalt sein müssen, schneekalt, aber er war warm und roch nach Erde, nach dem Wacholder unten am Hügel und nach den Kiefern weiter oben. Nach Felsen, die aus dem Eis ragen. Nach Flechten und nach Moos. Ja, tatsächlich. Er roch nach Frühling.
    Mitte April war es noch zu früh für den richtigen Tau, allerdings gehörten die vier Jahreszeiten mittlerweile ins Reich der Nostalgie. Diesen Winter hatte es in den Bergen geschneit, aber wir hatten auch schon zwei aufeinanderfolgende Jahre mit trockenen, fast schneefreien Gipfeln gehabt. Das machte mir mehr Angst als die Überfälle und die Krankheiten.
    Die Forelle zu verlieren war schlimm. Den Bach zu verlieren wäre noch einmal was ganz anderes.
    Ich ging immer noch angeln, oben in den Bergen. Die Forellen waren verschwunden, weil die Gewässer sich erwärmt hatten. Aber die Karpfen gründelten wie früher, und ich überwand meinen Ekel, wann immer ich einen Saugkarpfen fing; dieser träge Widerstand, den man kaum ein Aufbäumen nennen konnte, die geschwollenen Lippen, die riesigen Schuppen. Ich gewöhnte mich an den Geschmack und an die Knochen. Jetzt, wo es keine Forelle mehr gab, hatte der Karpfen ihre Nischen übernommen und sammelte sein Futter auch an der Wasseroberfläche, so dass ich manchmal sogar fliegenfischen konnte. Ich brachte Bangley nie welche mit, er hätte das nicht verstanden. Die vergeudeten Stunden. Der Leichtsinn, stundenlang verträumt im Wasser rumzustehen, das wilde Tiere ebenso anzog wie Wanderer.
    Ich ging trotzdem. Er hätte es Urlaub genannt, seine abfällige Bezeichnung für alles, was nicht unmittelbar zu unserem Überleben beitrug oder zum Töten oder zur Planung des Tötens, was auf ein und dasselbe hinauslief. Verdammt, Hig, wir sind hier nicht im Urlaub! Gottverdammt … Auf die Jagd zu gehen war etwas anderes. Die Menge der während eines Ausflugs gewonnenen Proteine geteilt durch das Risiko. Dass ich in die Berge wollte, dass ich es brauchte – da raufzukommen, alles hinter mir zu lassen, die andere Luft zu atmen –, nahm er gar nicht wahr. Ihm wäre lieber gewesen, ich hätte es gehasst. Mit dem Fliegen war es ähnlich. Er wusste, dass Fliegen mein Ein und Alles war, trotzdem gönnte er es mir nicht, obwohl wir unzählige Male von Informationen gerettet wurden, die ich auf meinen Überwachungsflügen gewonnen hatte.
    Er war nicht mein Chef, und ich konnte tun und lassen, was ich wollte, aber er sorgte dafür, dass ich seinen Unbill zu spüren bekam. Am besten behelligte man ihn gar nicht damit. Im Umgang mit Bangley ging es hauptsächlich darum, die Nadel Tag für Tag im grünen Bereich zu halten.
    Ich ging angeln. Ich hatte meinen Rucksack am Stamm eines immer noch grünen Baums abgestellt. Der Kajakschlitten. Mein Gewehr. Ich hatte das Käferzerstörungsgebiet durchquert, die hohen, toten Bäume, die bei starkem Wind einknickten und umstürzten. Wir waren bis zu jenen Teilen des Waldes gelaufen, die noch nicht abgestorben waren oder schon wieder dabei, sich zu erholen. Ich setzte den Rucksack ab und atmete den Duft von fließenden Gewässern ein, von kaltem Fels, von Fichten und Kiefern, so ähnlich wie die Duftsäckchen, die meine Mutter in die Sockenschublade legte. Ich atmete und bedankte mich, nicht unbedingt bei Gott, sondern bei dem, was noch da war. Man hätte fast glauben können, dass alles so war wie früher, als wir jung waren und viele Arten noch am Leben.
    Ich lauschte auf den Fluss, auf den Wind, der die schweren, dunklen Äste bog. Die Oberfläche des natürlichen Beckens, vor dem ich stand, war mit grünen Pollen bestäubt. Am Ufer ragten Baumwurzeln aus der Erde und bis

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