Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)
Etwas, das mich in das sumpfige Zentrum zieht, die geheime Mitte, wo Evie sich versteckt, mit großen Augen und ganz allein?
Er streckt den Kopf vor, und jetzt sehe ich ihn in dem Lichtstreifen, der von der Verandalampe der Ververs hereinfällt. Teds Gesicht, farblos, die Lippen zusammengepresst. Es ist gar nicht sein Gesicht, für eine Sekunde ist es das meines Vaters.
Ich betrachte ihn und habe das Geräusch ganz vergessen, das Quietschen und Schleifen, aber es hat auch aufgehört, und ich drehe mich um und lege die Hand an eine der Lamellen, sehe zu meinem Bruder, als würde ich ihn um Erlaubnis bitten.
Darauf warte ich aber nicht. Stattdessen schaue ich durch das Grünschwarz unseres Gartens. Die Veranda liegt im Schatten des Hauses, aber ich lege den Kopf an die Scheibe, und da ist sie, im Licht einer Straßenlampe und eines einsamen Schlafzimmerfensters.
Dann sehe ich es. Ich sehe alles. Ich sehe das Fleisch eines nackten Beins, meine Mutter erhebt sich aus dem Liegestuhl, das Haar zerzaust, mit einer Hand steckt sie sich eine nackte Brust wieder in die offene Bluse.
Und ihn, ihn sehe ich auch, er dreht mir den Rücken zu, fährt sich durchs Haar. Ich will, dass er sich umdreht, sie ansieht.
Stattdessen scheint Dr. Aiken wie vom Donner gerührt zu sein von dem angeberischen Sportwagen in der Einfahrt der Darltons, nebenan.
Er senkt den Kopf, als wäre er sehr müde. Für einen Augenblick sehe ich das Gesicht meiner Mutter, darin ist etwas. Etwas Funkelndes und zugleich Trauriges. Etwas, das eigentlich nicht zusammengeht, aber es ist zusammen da.
Ich gehe nicht wieder ins Bett. Ich habe das Gefühl, ich darf alles. Was macht es denn noch?
Den Kopf zum Platzen gefüllt mit rasenden Gedanken, schnappe ich mir meine Turnschuhe und schleiche raus, latsche durch die Gärten, einen nach dem anderen, die Häuser liegen still da, ich gehe den ganzen Weg, die ganzen sieben Blocks bis zu den Shaws.
Ich habe keine Ahnung, was ich dort vorhabe, es könnte alles Mögliche sein.
Ehe ich darüber nachdenken kann, stehe ich schon vor dem Haus und trommle nervös an den Laternenpfahl.
Es macht den Eindruck, als könne es kein dunkleres Haus geben, die Traufe hängt tief, wie ein gesenkter Blick. Diese Ruhe darin, das Haus ist fest verschlossen, da kommt man nicht rein. Als ich es vor ein paar Tagen gesehen habe, war die Tür offen, Polizisten trugen Pappkartons rein und raus, aus ihren hinteren Hosentaschen guckten Notizblöcke wie Schwänze, und es schien nackt. Jetzt wirkt es verriegelt, verrammelt.
Ich stelle mir Mrs. Shaw und Pete vor – der dunkelhaarige Junge, der in der Zeitung war, weil er den Landespreis für Robotertechnik bekommen hat –, hoch oben in dem Haus zusammengekauert, dem schiefen Märchenhaus mit den steilen Giebeln, die so schwer darüberzuliegen scheinen, als würden sie grässliche und wunderschöne Dinge verstecken. Ich stelle mir Fledermäuse vor, zusammengefaltet, schnarrende Opossums unter der Veranda.
Aber vielleicht auch etwas Magisches, etwas aus einer Gutenachtgeschichte, ein schimmernder Rabe unter dem Dach, eine dornige Wildrose.
Ich glaube, wenn ich konzentriert genug gucke, werde ich etwas verstehen, wird mir etwas klar.
Aber was gibt es zu sehen, zu wissen?
Der Wind frischt auf, und ich kriege eine Gänsehaut, meine Augen machen verrückte Sachen, wie früher, als Kind, als ich dachte, ich könnte durch Wände sehen, wenn ich mir nur genug Mühe gebe.
Aber das Haus gibt nichts preis.
Minuten vergehen, und ich habe schon fast aufgegeben, als mir einfällt, was ich tun könnte. Ich schleiche nach hinten in den Garten. Hat die Polizei hier überhaupt geguckt? Wenn er bei den Ververs im Garten raucht, raucht er dann nicht vielleicht auch in seinem eigenen?
Es ist zu dunkel, um irgendwas zu sehen, also beuge ich mich vor, dann hocke ich mich hin, taste nach etwas, lasse die Handflächen über den Rasen gleiten, über Steinplatten, einen dicken Baumstumpf. Je länger ich alles abtaste, desto mehr denke ich, dass das verrückt ist, herumzustöbern und zu schnüffeln, mitten in der Nacht auf allen vieren bei den Shaws im Garten, als würde ich als Nächstes den Kopf in den Nacken legen, den Mond anheulen und Zeter und Mordio schreien.
Ich krieche ziemlich lange auf dem Rasen der Shaws herum, von einer Ecke in die andere, aber ich finde nichts, nicht eine Kippe, nicht mal ein einziges Streichholz.
Aber ich bin noch nicht fertig. Ich habe Dreck unter den Fingernägeln und
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