Das Ende der Welt (German Edition)
große Gefahr. Verlass dich lieber auf deine Erfahrung und auf deinen gesunden Menschenverstand. Der Mann, den du zur Strecke gebracht hast, lebt nicht mehr.«
Ich nickte. Sönn hatte recht. Ich folgte oft meinem ersten Eindruck, um dann festzustellen, dass ich mich geirrt hatte und genauer hätte hinschauen sollen.
Ich sah wieder zu dem Mann rüber, aber er war verschwunden. Seine Kameraden tranken und grölten weiter, als habe es ihn nie gegeben.
15
Das Haus brummte wie ein Bienenstock. Alle waren mit letzten Vorbereitungen für die Zeremonie beschäftigt, die am Abend stattfinden sollte. Jedes Mal, wenn ich Amandus begegnete, nickte er mir freundlich zu. Bald geht es dir an den Kragen, du Verräter, dachte ich.
Leela rauschte mehrmals an mir vorbei, ohne mich zu beachten. Sie ging schnell und sicher, als würde sie in die Schlacht ziehen. Was sie in einem gewissen Sinne ja auch tat. Du wirst bald nicht mehr so hochnäsig sein, dachte ich bei mir.
Zu Mittag brachte mir Wolf eine Schale übelriechenden Getreidebrei und zwei Muschniks. Ich sagte ihm, er könne das Zeug wieder mitnehmen. Am Abend sollte es ein Festmahl geben, und ich wollte mir nicht den Magen verderben mit diesem Fraß.
Am Nachmittag begleitete ich Leela in die Stadt. Unterwegs musterte sie mich angeekelt. »Es wird nicht mehr lange dauern, dann bist du einer von ihnen.«
Ich hatte es mir abgewöhnt, sie zu fragen, wie sie etwas meinte. Sie redete oft so ein Zeug. Leela sah mich zweifelnd an, als hätte sie meine Gedanken gelesen, und ich stellte mir vor, wie sie nach ein paar Jahren an Donards Seite aussehen würde. Sicherlich nicht mehr so hübsch. Du bekommst, was du verdienst, dachte ich.
Als wir an einem Zeitungsjungen vorbeikamen, blieb ich abrupt stehen. Mir war das Foto eines unbekannten Toten auf der Titelseite aufgefallen. Und noch ehe ich die vernarbte Stelle an seinem Kopf sah, wusste ich, wer der Mann war: Amandus’ Angreifer! Unter dem Foto stand, dass sie ihn mit einer Schusswunde im Kopf aus dem Kanal gefischt hätten. Mein Herz raste, und der Schweiß brach mir aus. Das konnte kein Zufall sein.
Leela sah mich beunruhigt an. »Du bist ja ganz weiß geworden«, sagte sie.
Ich murmelte etwas und ging weiter.
»Hm, das ist wirklich seltsam«, sagte Wolf, nachdem ich ihm davon berichtet hatte. »Und du glaubst, es war der Attentäter?«
»Ich weiß es«, sagte ich.
»Aber sie haben ihn hingerichtet. Du hast dich bestimmt getäuscht.«
»Nein!«, beharrte ich. »Irgendetwas stimmt nicht.«
Wolf nickte nachdenklich. »Mach dir keine Gedanken und überlass mir die Sache«, sagte er. »Ich werde mich mal umhören. Ich bekomme raus, wer dieser Mann war.« Das beruhigte mich vorerst, und so nahm ich meinen Dienst wieder auf.
Reger hatte uns vor der Feier zum Waschen abkommandiert. Dieser Reinlichkeitskult wurde langsam lästig. Manche Kameraden wuschen sich freiwillig sogar jeden Tag. Sie waren schon so dekadent wie die Senatsbürger. Anschließend legte ich meine Ausgehuniform an. Auf dem Weg zum Festsaal traf ich Donard, der auf mich gewartet zu haben schien. Er war weiß geschminkt und stank nach Parfüm.
»Halt dich zurück, kleiner Soldat. Ich will dich heute Abend weder hören noch sehen«, zischte er giftig.
Ich lachte leise. »Womit willst du einen Angreifer denn in die Flucht schlagen? Mit deinem Parfümgestank?«
Er sah aus, als wollte er sich auf mich stürzen. Aber das wäre für den künftigen Schwiegersohn des Kanzlers nicht angemessen gewesen, und so beließ er es bei einem bösen Blick. Ich ließ ihn stehen und ging in den Saal. Reger hatte mir eingeschärft, ein Auge auf Leela zu haben, aber den Ablauf der Zeremonie nicht zu stören. Schließlich waren die bedeutendsten Senatsbürger Berlins mit ihren Familien eingeladen. Die Feier war das große Ereignis der Stadt. Es hatte in der Zeitung gestanden, und auch die Lautsprecher hatten es unaufhörlich gemeldet.
Reger hatte uns die Zeremonie erklärt. Wenn alle Gäste versammelt wären, würden die Familien von Leela und Donard durch zwei verschiedene Türen hereinkommen und in einer Art Tanzschritt auf die Bühne schreiten. Der Zeremonienmeister würde ein paar Worte sprechen und den beiden Brautleuten ein paar Haare abschneiden, die mit Kräutern verbrannt werden würden. Anschließend galten sie als verlobt.
Der Festsaal war durch unzählige Kerzen und Gaslampen erleuchtet. Die hohen Wände waren mit dicken Teppichen abgehängt, auf denen die Wappen
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