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Das Ende der Welt (German Edition)

Das Ende der Welt (German Edition)

Titel: Das Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Höra
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Mensch noch Tier, sondern einem Zwischenreich entsprungen. Ihre Geburt wurde von einem eisigen Regen begleitet, der ihre Seelen erstarren ließ. Und auch sonst: Traut hier niemandem, haltet euch aneinander und versucht so schnell wie möglich wieder wegzukommen. Da fällt mir ein …« Barnabas unterbrach sich, sah an sich herunter, hob eines seiner dürren Storchenbeine leicht an und sagte wie zu sich selbst: »Das war auch mal besser in Schuss.« Dann, mit Blick auf uns: »Ich könnte zwei Gehilfen gebrauchen. Zwei Freunde, die gemeinsame Sache mit mir machen und mein Handwerk erlernen. Ihr kämt viel rum, würdet viel sehen, Menschen kennenlernen, auch wenn die meisten zu vernachlässigen sind, aber das müsst ihr jungen Füchse erst noch lernen. Ihr würdet Geld verdienen, keine Selbstverständlichkeit in dieser Zeit, vor allem in dieser sogenannten neuen Zeit.« Die letzten beiden Worte hatte Barnabas besonders betont. »Ihr wärt frei, niemandem untertan, keines Herren Knecht.« Er sah uns zweifelnd an. »Ich sehe schon, ich stoße nicht auf eure Zustimmung. Ich glaube, ihr würdet sowieso versagen, ihr seht viel zu ehrlich aus. Wahrscheinlich würdet ihr mich innerhalb von drei Tagen ruinieren. Na gut! Ich bin noch zwei Tage im Lager, um meine Geschäfte zu machen. Bevor ich weiterreise, werde ich noch mal nach euch sehen. Bis dahin, bleibt auf dem rechten Wege.« Er ließ uns mit Jobeck allein, der uns grimmig ansah und uns winkte, ihm zu folgen. Vor einem alten Wohnwagen mussten wir warten, bis er wieder auftauchte. »Los, rein!«, knurrte er und verschwand. Ich sah ihm nach. Ich kannte solche Typen von der Armee. Dumme Jungs mit wenig Hirn und zu viel Kraft. Willige Helfer für Menschen wie Cato. Du warst doch auch ein williger Helfer für Cato und würdest es noch sein, wenn er dich nicht geopfert hätte, dachte ich plötzlich. Nur weil das Schicksal was anderes für mich vorgesehen hatte, lief ich nicht wie die anderen hinter der neuen Zeit her.
    »Gehen wir jetzt rein, oder starrst du noch ein bisschen vor dich hin wie ein Schwachsinniger?«, stupste Leela mich an. Im Inneren des Wohnwagens stand ein wurmstichiger Schreibtisch, vor dem eine riesige Dogge lag, die uns gelangweilt angähnte. Dahinter saß ein breitschultriges Wesen, bei dem ich mir nicht sicher war, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Er oder sie hatte eine Glatze und einen Vollbart, aber geschminkte Lippen und rot gepuderte Wangen. Ein etwa zehnjähriger Junge fächelte der Gestalt mit einer großen Plastikscheibe kühle Luft zu. Das Geschöpf blätterte in einer Zeitschrift für Kinder und kicherte, wobei es sich die geballte Faust vor den Mund hielt. Nach einer Weile klappte es die Zeitung zu und sah uns aus seinen schwarz geschminkten Augen an. Es war eindeutig ein Mann, stellte ich fest. Sein Blick war eiskalt. »Ich bin der Zar«, sagte er mit tiefer Stimme, die direkt aus einem Abgrund zu kommen schien. »Ich bin das Gesetz.« Dabei lächelte er, wobei es aussah, als hätte ihm jemand das Lächeln mit einem stumpfen Messer ins Gesicht geschnitten.
    »Ihr bekommt einen Platz in Haus 5.« Als wir ihn fragend ansahen, sagte er: »Eigenes Zimmer. Wenig Ungeziefer. Habt ihr Barnabas zu verdanken. Geht mit dem da.«
    Er gab dem Jungen einen Wink, der uns durch eine zweite Tür hinausführte, vor der mehrere Wärter mit halbautomatischen Gewehren herumlungerten, die uns böse musterten. Wie aus dem Nichts stürzte eine Meute Kinder mit aufgedunsenen Bäuchen auf uns zu und hielt uns bettelnd die schmutzigen Hände entgegen. Wir gaben ihnen einen halben Muschnik, das Einzige, was wir übrig hatten, und sie prügelten sich sofort darum. Die Wächter lachten über das Schauspiel und schlossen Wetten ab, wer der Sieger sein würde.
    Wir folgten dem Jungen und zwängten uns zwischen den Wellblechbaracken hindurch, die dicht wie exerzierende Soldaten dastanden. Es stank nach Krankheit und Tod. Vor einer Baracke lagen Menschen reglos auf der blanken Erde. Es war nicht zu erkennen, ob sie schliefen oder tot waren. Eine Frau wiegte ein Kind in ihren Armen und wedelte verzweifelt dicke schwarze Fliegen weg, die sich immer wieder auf das Gesicht des Kleinen stürzten und es wie eine Maske bedeckten. Kinder spielten lustlos, als würden sie nur eine Pflicht erfüllen. An einem Feuer saß eine in Lumpen gehüllte Gestalt, die hin und wieder einen Schluck aus einem Plastikkanister nahm, gurgelte und in die zischende Glut spuckte.
    Haus 5

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