Das Ende der Welt (German Edition)
entpuppte sich als genauso schäbig wie der Rest des Lagers. Abgestandene und warme Luft schlug uns entgegen. Wir brauchten eine Weile, bis wir uns an das Dunkel gewöhnt hatten, durch die Sehschlitze fiel nur wenig Licht. An den Wänden reihten sich Verschläge auf, das waren die Zimmer, von denen der Zar gesprochen hatte. Die meisten hatten sogar Türen, schiefe Holzrahmen, die mit Draht ausgekleidet waren. Der Junge zeigte wortlos auf einen Verschlag. »Das ist euer Zimmer«, lispelte er und hielt die Hand auf. Als er merkte, dass wir nichts für ihn hatten, spuckte er auf den Boden und zog enttäuscht ab.
Zwei Bretter, die übereinander an der Wand angebracht waren, dienten als Betten. »Ich schlafe oben«, rief Leela und schwang sich auf das Brett, das beängstigend durchhing. Das untere war fast in Bodenhöhe befestigt, so dass ich mich reinrollen musste. Durch ein Loch in der Rückwand fiel etwas Licht. Ich hockte mich neben Leela, die vor sich hin brütete. »Diese Bruderschaftstypen machen mir Angst«, sagte sie.
»Mir auch«, gab ich zu. »Aber wenigstens gibt es hier nicht diese ganzen Irren, die Catos neuer Zeit hinterherlaufen. Und ich habe kein einziges Fahndungsplakat gesehen. Das Gute an der Bruderschaft ist, dass sie nach ihren Gesetzen lebt und es ihr egal ist, wer außerhalb des Lagers gerade an der Macht ist.«
»Wir müssen trotzdem weg«, sagte Leela. »Hast du die Leute hier gesehen? Ich habe Angst, auch so zu werden.«
»Wir müssen eine Arbeit finden, um die Schleuser bezahlen zu können«, wandte ich ein.
»Komm, wir sehen uns mal im Lager um«, schlug Leela vor.
Auf dem Weg nach draußen sahen wir das Schild über dem Eingang: Tagsüber ist der Aufenthalt in den Schlafsälen verboten!
In diesem Augenblick heulte eine Sirene los. Die Lagerinsassen strömten aus allen Richtungen auf eine Halle zu. Die meisten hatten auffallend schlechte Zähne, manche gar keine mehr. Am Rand standen Wachmänner und passten auf. Wer aus der Reihe tanzte oder sprach, bekam einen Knüppel in die Seite. Leela und ich schlossen uns dem Zug an, der vor einer Halle endete, aus der ein widerwärtiger Geruch drang. Leela hielt sich die Nase zu. Die Halle entpuppte sich als Essensausgabe.
Hinter langen Tresen verteilten Männer und Frauen Brei aus riesigen schmutzigen Töpfen an die Wartenden. Anschließend bekam jeder noch einen Muschnik und eine Tasse Wasser. Wer sein Essen erhalten hatte, setzte sich an einen der Tische und löffelte schweigend.
Leela verzog den Mund. »Lass es uns versuchen«, raunte ich ihr zu. »Wer weiß, wann es das nächste Mal wieder was gibt.«
Wir schnappten uns jeder eine Schüssel und einen verbeulten Metallbecher und stellten uns an. Als wir an der Reihe waren, fragte Leela den Mann hinter dem Tresen: »Was ist das für ein Brei?«
»Schnauze!«, brüllte der und zeigte mit seiner Kelle auf ein Schild an der Wand: Sprechen verboten!
Wir suchten uns einen freien Platz, probierten den Brei und spuckten ihn sofort wieder aus. Das Zeug war noch schlimmer als der Fraß bei der Armee. Dummerweise war eine der Wachen auf uns aufmerksam geworden und kam auf uns zugeschlendert. »Haben die Herrschaften etwas zu beanstanden?«
Leela und ich sahen uns verwundert an.
»Schmeckt es nicht?«, fragte der Wächter freundlich.
»Das täte mir aber leid, schließlich wollen wir unsere Kunden zufriedenstellen.«
»Na ja«, meinte Leela. »Es schmeckt wirklich nicht sehr gut.«
Der Wächter nahm ihr den Löffel aus der Hand und probierte von ihrem Brei. »Mhm!«, machte er schmatzend. »Vielleicht fehlt etwas Salz. Ich schlage vor, dass ihr dem Zar eure Beschwerde direkt vorbringt. Er wird sicher Verständnis haben.«
»Ach, so schlimm ist es nicht«, wiegelte ich ab.
»Doch, doch, ich bestehe darauf«, sagte der Wächter und gab uns Zeichen, ihm zu folgen. Missmutig trotteten wir hinter ihm her.
Im Wohnwagen herrschte das gewohnte Halbdunkel, aus dem heraus der Zar uns mit eisigen Blicken durchbohrte. Die Boshaftigkeit dieses Mannes war regelrecht greifbar, sie sickerte aus all seinen Poren. In unserer Welt waren die meisten Menschen skrupellos, aber der Zar übertraf sie alle. Ich wunderte mich auch nicht mehr über die blonde Lockenperücke auf seinem Kopf, die er mit blutroten Fingernägeln zurechtzupfte.
»So, es schmeckt euch also nicht«, sagte er traurig und schüttelte enttäuscht den Kopf. »Gebe ich euch nicht meine ganze Liebe? Bin ich nicht wie eine Mutter zu euch?«
Er
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