Das Ende der Welt (German Edition)
Vielleicht kann Barnabas uns Geld leihen und eine Arbeit besorgen.«
Wir machten uns auf die Suche nach ihm. Doch das war nicht einfach. Das Lager war groß und unübersichtlich. Ein paar Wachen gingen an uns vorbei, ich erkannte Jobeck und fragte ihn nach Barnabas. Statt zu antworten, richtete Jobeck seinen Zeigefinger wie eine Pistole auf mich und ging weiter.
»Seid ihr verrückt?«, zischte eine Frau, als er außer Hörweite war. »Ihr könnt doch die Wachen nicht ohne Erlaubnis ansprechen.« Sie zeigte auf ein Schild: Es ist verboten, die Wachen anzusprechen!
»Überall diese verdammten Schilder«, sagte Leela. »Die sind ja schlimmer als unsere Bürokraten.«
In der Mitte des Lagers fanden wir die Geschäftsstraße. Bullige Wächter patrouillierten dort auf und ab. Hölzerne Stände reihten sich aneinander, und an jedem gab es etwas anderes. An dem einen Brot, an dem anderen vergorene Rattenmilch. Es gab verschimmelte Rüben, matschige Kartoffeln, wurmzerfressene getrocknete Frösche. Uns lief das Wasser im Munde zusammen. Plötzlich ertönte Geschrei, wir sahen uns besorgt an, doch es stellte sich heraus, dass es von einem Mann stammte, dem ein Zahnarzt gerade einen Zahn zog.
Nachdem wir uns zu Barnabas durchgefragt hatten, fanden wir ihn in seinem Laden, einem Bretterverschlag, wo er auf einem Tresen seine Waren ausbreitete.
»Ah, Kinder«, sagte er, als er uns kommen sah, und breitete die Arme aus. Eine Geste, die mich an Cato erinnerte.
»Wir brauchen deine Hilfe«, sagte Leela, worauf Barnabas sich leicht verneigte. »Ich tue mein Bestes, aber das tue ich immer.«
Nachdem wir ihn um Rat gefragt hatten, sah er uns an, strich sich die Enden seines Schnurrbartes glatt und fragte Leela: »Kann das Fräulein mit einer Nähmaschine umgehen?«
»N-Nein«, stotterte sie.
»Bedauerlich.« Er strahlte sie an. »Aber nicht schlimm, das lässt sich lernen. Ein paar Damen aus dem reizenden Örtchen hier nähen für mich Haute Kütüre für die Damen der Oberschicht.«
»Haut, was?«, fragte Leela.
»Ein längst vergessenes Wort, es bedeutet so viel wie zweite Haut«, sagte Barnabas. »Wenn das Fräulein sich nicht zu schade ist, könnte ich es in meine Nähbrigade aufnehmen.«
Leela nickte eifrig.
»Und es dient als hervorragende Übung für das spätere Dasein als tüchtige Hausfrau«, sagte Barnabas.
Leela wurde rot. »Und was verdiene ich da?«
»Es gilt den sagenhaften Verdienst von acht Kreuzern am Tag zu erwirtschaften«, sagte Barnabas.
»Das können wir gut gebrauchen«, rief Leela begeistert.
Sie gaben sich die Hände, als hätten sie einen besonders guten Handel abgeschlossen. »Und zur Besiegelung unseres Abkommens bekommt die junge Dame eine kleine Vorauszahlung von zwei Kreuzern. Und wie wäre es, wenn du dir dazu noch ein Stückchen Seife aussuchst?«, schlug Barnabas Leela vor. »Ich habe in meinem Sortiment ganz hervorragende. Nicht die hiesigen Stinkwurzen, sondern edle Düfte aus dem besetzten Frankenreich.«
Während Leela an den Seifen roch, zog Barnabas mich beiseite.
»Ich wollte es der jungen Dame nicht ins Gesicht sagen, sie sah so selig aus. Aber leider ist nicht der ganze Verdienst für euch.« Er rieb verlegen die Finger aneinander.
»Wie viel?«, rief ich, worauf Leela fragend zu uns rübersah.
»Vier Kreuzer an den Zaren«, flüsterte Barnabas.
»Was?«, rief ich.
»Der Zar ist die Quelle und das Meer. Und jeder, der in dieser Herrlichkeit baden will, muss ihm Tribut zollen, mein lieber Kjell«, sagte Barnabas. »Und da wäre noch mein Verdienst. Für Material und Nähmaschinenmiete.«
»Wie viel?«, fragte ich.
»Drei!«, sagte Barnabas und tat, als rechne er mit den Fingern. »Bleibt also ein Verdienst von einem Kreuzer. Ist das nicht großartig?«
War es nicht, aber wir hatten keine Wahl, und Leela konnte bereits am nächsten Tag anfangen.
»Ich kann nicht nähen«, jammerte Leela leise, als wir am Abend in unserem Verschlag auf den Brettern lagen.
»Du schaffst das«, machte ich ihr Mut. »Bald sind wir in Sicherheit. Auf der Insel gibt es keinen Cato, keinen Burger, keinen Zaren und keine Nähmaschinen.«
39
Im Verschlag nebenan furzte jemand, eine Frau schrie mit hoher Stimme und klang dabei wie eine sterbende Ratte. Ich lag die halbe Nacht wach und zermarterte mir das Hirn. Mit Leelas Verdienst würden wir etwa acht Jahre brauchen, um genug für die Schlepper zusammenzukratzen. Es musste einen anderen Weg geben. Außerdem mussten wir damit rechnen, dass
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