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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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oder Menschen. Der Zaun war hoch.
    »Warten Sie hier«, sagte Constance. »Ich werde eine ganze Weile brauchen.«
    Ich wartete vor dem Tor und beobachtete, wie Constance auf den Klingelknopf drückte, in die Sprechanlage redete, eingelassen wurde. Sie verschwand zwischen den Hecken. Ich wartete. Obwohl die Klimaanlage auf Hochtouren lief, spürte ich die heiße Sonne. Mir wurde schwindlig.
    Neun Minuten später sah ich, wie ein junger Mann in Jeans, schwarzem Hemd und Cowboystiefeln sie zum Tor zerrte.
    Ich versuchte vergeblich, Blickkontakt herzustellen. Constance wirkte wie immer, gebildet und leicht gelangweilt. Aber sobald sie versuchte, ihren Arm freizubekommen, packte der Mann im schwarzen Hemd noch fester zu.
    Ich schaute eine weitere Minute zu. Sie stritten. Constance wirkte nicht ängstlich. Die Diskussion zog sich hin, aber der junge Mann ließ Constance nicht los.
    Ich stieg aus dem Auto. Ich ließ den Motor laufen und die Fahrertür offen stehen. Niemand bemerkte mich. Ich zog einen kleinen Billigrevolver aus meinem Hosenbund und zielte auf das Herz des Mannes.
    Ich trat ans Tor. Constance und der Mann waren etwa fünf Meter entfernt. Die Pistole hatte ich gekauft, als ich nach L.A. gezogen war. Damals war ich immer bewaffnet unterwegs. Ich wusste keinen anderen Weg, Vorgänge zu beschleunigen und die Realität meinem Willen zu beugen. Seither hat Constance mich effektivere, schmerzfreiere Methoden gelehrt, meine Gedanken Wirklichkeit werden zu lassen.
    Ich klopfte mit dem Lauf an die Gitterstäbe.
    »Hey«, sagte ich.
    Constance und der Mann drehten sich zu mir um.
    »Wer sind Sie?«, fragte der Mann.
    »Lass sie los«, sagte ich.
    Er starrte mich an, ohne sie loszulassen. Constance wirkte genervt. Sie seufzte lautstark, als sei ihr das alles zu blöd. Womit sie natürlich recht hatte. Meistens ist es zu blöd.
    »Nimm deine dreckigen Hände weg«, sagte ich.
    Er sah mich an, ohne seine dreckigen Hände wegzunehmen.
    »Du denkst, ich tu nur so?« Ich spannte den Hahn.
    »Du bist Nummer drei«, sagte ich. »Drei Tote.«
    Er ließ nicht los.
    »Es ist jedesmal einfacher«, sagte ich. Das war gelogen. »So langsam komme ich auf den Geschmack.«
    Aus der Richtung des Hauses näherte sich ein zweiter Mann. Er wirkte jung, vielleicht zählte er aber auch nur zu der Sorte Mann, deren Gesicht nie erwachsen wird. Er war schlank und hatte schulterlanges Haar. Er sah aus wie ein Gigolo.
    Ich hielt den Revolver weiter auf den Mann im schwarzen Hemd gerichtet.
    »Ich werde nie wieder einen Gedanken an dich verschwenden«, sagte ich, »und an den da auch nicht.« Ich dachte ständig an die beiden Männer, die ich erschossen hatte. Ich träumte sogar von ihnen. Es fühlte sich an, als wären sie, nachdem ich sie umgebracht hatte, unter meine Haut gekrochen und in meinen Körper eingezogen. Nachts betäubte ich mich mit Koks, manchmal auch mit Heroin, um ihnen zu entkommen, aber es klappte nie so richtig. Manche Tage waren ein Alptraum, aus dem es kein Erwachen gab. Ich hatte nicht gewusst, dass ich sie, indem ich sie umbrachte, für alle Zeiten an mich band. Für dieses und für alle weiteren Leben.
    Der Blick des Blonden traf mich. »Ich werde dich erschießen und vergessen, so wie all die anderen. Niemand wird sich an dich erinnern. Es wird sein, als hättest du nie gelebt«, sagte ich.
    Ich schätzte, dass ich mich, falls ich ihn erschoss, gleich mit erschießen müsste. Mit noch einem würde ich nicht weiterleben können. Hinter dem blonden Mann hob ein Lama den Kopf, um Blätter von einem hohen Busch zu zupfen. Vielleicht war es ein Alpaka.
    »Allie, geh weg«, sagte der Mann in sanftem Ton zu dem Tier. »Komm schon, beweg dich.«
    Ich nahm mir vor, das Lama nicht zu treffen, konnte aber nichts versprechen. Ich hielt die Waffe auf den Mann im schwarzen Hemd gerichtet. Constance verdrehte die Augen, so als sähe sie einen schlechten Film. Erst jetzt bemerkte ich, dass halb verdeckt von der Hecke ein weißer Rolls Royce parkte. Niemand saß darin.
    Ich schoss in die Windschutzscheibe des Rolls und richtete die Waffe dann wieder auf den Mann im schwarzen Hemd. Alle außer mir zuckten zusammen, als der Schuss knallte und die Windschutzscheibe zerplatzte. Das Tier galoppierte davon. Die Scherben funkelten in der Sonne, man konnte kaum hinsehen.
    »Es wird nicht mal eine Beerdigung geben«, sagte ich. »Denn niemand wird eure Leichen finden. Und in ein paar Jahren haben euch alle vergessen. Nur wir nicht. Ihr seid unser

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