Das Ende der Welt
zusammen ein Kunstprojekt für das MOMA geleitet, hier in San Francisco. Er hat die Musik für meine Performance geschrieben. Ich war furchtbar, aber er war toll. Er war großartig. Ich müsste die CD noch irgendwo haben. Er hat in New York mit Zigeunern zusammengearbeitet. Mit Roma.«
»Er war ein toller Mann«, stimmte ich zu.
»Was glaubst du«, sagte sie, »gibt es schon einen Verdächtigen oder wie das heißt?«
»Nein«, sagte ich. »Leider nicht. Deswegen bin ich hier. Ich dachte, ich nehme mir mal die Vergangenheit vor, denn ehrlich gesagt habe ich keine andere Idee.«
»Ich dachte, es war ein Raubüberfall?«, sagte sie. »Meinst du, es steckt was Persönliches dahinter? Wurde er absichtlich ermordet?«
»Vielleicht«, sagte ich. »Es sieht ganz nach einem Raubüberfall aus, aber ich ermittle trotzdem in alle Richtungen.«
»Du liebe Güte«, sagte sie, »das solltest du auch. Verdammt schrecklich.«
»Woher kennst du Lydia?«, fragte ich.
»Aus dem Sandkasten sozusagen«, antwortete sie. »Wir waren schon als Teenager befreundet. Du weißt schon. Partys, Übernachtungen und so weiter.«
»Wie war sie damals?«, fragte ich.
»Wunderschön«, sagte Delia. »Sexy. Möchtest du einen Tee?«
»Ja«, sagte ich, »Kräutertee, wenn du welchen hast.«
Sie stand auf und ging in den hinteren Teil des Lofts, in dem sich eine offene Küche befand.
»Ja«, sagte sie, »im Moment bevorzuge ich chinesische Heilkräuter. Keinen Schwarztee, kein Koffein.«
»Leberhitze?«, fragte ich.
Sie nickte. »Du auch?«
Ich nickte.
»Scheißleber«, sagte sie. »Ist doch nichts anderes als die chinesische Variante von: ›Nehmen Sie zwei Aspirin und rufen Sie morgen noch mal an‹, bloß dass sich das keiner zu sagen traut.«
»Ja«, sagte ich, »bloß dass es heißt: ›Essen Sie nichts, was schmeckt, nehmen Sie sechs Wochen lang ekelerregende Kräuter zu sich, und
dann
rufen Sie noch mal an.‹«
Sie lachte. »Verzichten Sie auf alles, was Sie mögen, regen Sie sich nicht auf und rufen Sie nächsten Monat an.«
Das Wasser kochte, und sie goss Kräuter mit gerösteter Gerste auf. Um unsere Organe abzukühlen. Wir nahmen den Tee mit zu einem Tisch am Fenster und setzten uns.
»Also«, sagte ich.
»Ja«, sagte sie. »Also. Na ja, wir waren jung. So gesehen hatten wir nicht mal Familie. Ich bin in Emeryville aufgewachsen, einem richtigen Drecksloch. Inzwischen ist es vermutlich ein Drecksloch mit Einkaufszentrum und den Pixar Studios. Meine Eltern gehörten einer Art Sekte an. Einer religiösen Bewegung. Sagen wir mal so, die meisten würden es eine Sekte nennen.«
»Was für eine Sekte? Woran haben sie geglaubt?«
»Es war harmlos«, sagte Delia. »Es handelte sich um eine Art Pseudobuddhismus. Meine Eltern haben viel meditiert und waren die meiste Zeit neben der Spur. Wir Kinder liefen mehr oder weniger unbeaufsichtigt herum. Wir wurden nicht misshandelt oder so. Die Erwachsenen haben bloß die ganze Zeit meditiert. Der Anführer war ein Mann namens Carl. Er stammte aus New Jersey.«
Ich verzog das Gesicht.
»Ja, unglaublich, nicht wahr?«, rief sie. »Ich meine, wer zum Teufel hängt sich an einen Typen aus New Jersey? Er war nicht einmal bei der CIA oder so. Er war nicht besonders charismatisch. Es war auch nicht so, dass man sich seinem eisernen Willen einfach nicht widersetzen konnte. Zum Abendessen aß er am liebsten Seezunge. Nur dann regte er sich auf – wenn er abends nicht seinen Fisch bekam. Mit geriebenen Mandeln und Butter, kennst du das Rezept? Und dann mussten alle ihre Namen ändern, weil ihm so eine numerische Ordnung vorschwebte. Außerdem gab es meistens nur Körner zu essen. Ehrlich gesagt halte ich mich bis heute dran, ich glaube, in dem einen Punkt hatte er recht. Im Samenkorn ist alles bereits enthalten, oder? Wie dem auch sei. Wir waren in der langweiligsten Sekte der Welt. Und Lydia … tja. Wir haben uns im Alter von fünfzehn oder sechzehn kennengelernt. Bist du von hier?«
»Brooklyn«, antwortete ich.
»Dann weißt du ja Bescheid«, sagte sie. »Warst auch ein böses Mädchen!« Man musste keine Detektivin sein, um darauf zu kommen. »Gefälschte Ausweise. Ohne Eintrittskarte ins Kino. Ladendiebstahl. Jungs. Das ganze Programm. Du weißt schon. Wir waren arm. Na ja, nicht unbedingt arm. Pleite.«
»Wo habt ihr euch kennengelernt?«, fragte ich.
»Irgendwo«, antwortete sie. »In einer Bar oder bei einem Konzert. Lydia kam aus Hayward, aber ihre Eltern hatten sie vor die Tür
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