Das Ende der Welt
Güte! Komm, ich geb dir ein Bier aus.«
»Lass gut sein«, sagte ich, »Hauptsache, du machst das nicht noch mal.«
Wir tranken aus und gingen zur Herrentoilette. Tracy klopfte an. Eine Frauenstimme rief: »Verpiss dich!« Wir traten ein.
Die Herrentoilette bestand eigentlich aus zwei Räumen. Der erste war eine Art Vorraum mit Waschbecken und ein paar Stühlen. Hinter der zweiten Tür befand sich das eigentliche Klo. Im Vorraum saßen zwei Mädchen, die mit einem Hausschlüssel Kokain aus einem Tütchen löffelten. Eines der Mädchen war Cathy, das andere Georgia.
»Tracy!«, rief Cathy. »O mein Gott! Ich habe gerade an dich gedacht!«
Cathy redete immer weiter, während Georgia die Schlüsselspitze wiederholt im Kokain versenkte. Cathy war ein dralles, hübsches, fröhliches Mädchen mit kurzer Zottelfrisur. Ich wusste, dass sie in einem Hochhaus in Chelsea wohnte und eine riesige Familie hatte, sieben oder acht Geschwister.
Georgia war ein Spatz von einem Mädchen. Ihr Gesicht war hübsch, ihr Ausdruck aber hämisch. Sie trug einen Secondhand-Persianer und viel zu viel Make-up und hatte sich das braune Haar zu einem Knoten hochfrisiert. Sie war tatsächlich obdachlos. Eigentlich war sie bei einer Pflegefamilie untergebracht, aber sie riss immer wieder aus.
»Hey, Claire«, sagte sie mit belegter, vor Sarkasmus triefender Stimme.
Ich schwieg und bedachte sie mit einem abfälligen Blick.
Was zwischen mir und Georgia vorgefallen war, lag Ewigkeiten zurück, aber vergessen war es nicht. Ja, es war um einen Jungen gegangen, aber wegen eines Jungen sollte eine Mädchenfreundschaft eigentlich nicht auseinandergehen. Wir verlangten von den Jungen nicht viel; sie waren nur die unbeteiligten Zuschauer des Krieges, den die Mädchen untereinander führten.
Ich hasste Georgia. Allein ihr Anblick brachte mich zur Weißglut.
Ich dachte an Chloe. Dass sie scheinbar danach trachtete, den Hass der anderen auf sich zu ziehen.
Tracy versuchte, Cathys Aufmerksamkeit auf Chloe zu lenken.
»Ich habe Chloe ewig nicht gesehen«, stieß Cathy atemlos hervor. »Ich meine, ’ne Zeitlang haben wir uns ständig getroffen, weißt du. Georgia, du erinnerst dich noch an Chloe, oder?«
Unter großem Kraftaufwand löste Georgia ihren Blick von mir und sah Cathy an. Sie hatte mehr getrunken als die Freundin; ihre glasigen Augen waren gerötet, und sie war nicht halb so aufgekratzt wie Cathy. Ganz im Gegenteil, es machte den Eindruck, als würde sie jeden Augenblick einschlafen.
»Ja«, sagte sie mit schwerer Zunge, »die kenne ich. Alte Schlampe.«
»Wieso Schlampe?«, fragte Tracy.
»Weil sie Cathy das angetan hat«, lallte Georgia. »Sie hat Cathy schlecht behandelt. Die Nutte.«
»Was ist denn passiert?«, fragte Tracy. Ich merkte, dass sie langsam die Geduld verlor.
»O mein Gott«, sagte Cathy, »ich kann nicht … ich meine, ich kann kaum darüber reden. Bis heute. Es ist, als hätte sie mich abgestochen, weißt du. Sie hat dort zugestochen, wo es am meisten weh tut.«
»Sie hat dich mit einem Messer angegriffen?«, fragte Tracy. »Oder hat sie …«
»Nein, nein«, sagte Cathy schnell, »sie hat einen Typen gefickt, den ich sehr mochte. Na ja, ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, ob sie, du weißt schon. Und es war mehr als mögen. Er war der Richtige für mich. Der Einzige. Okay? Okay. Es war Hank Nielson. Ihr kennt ihn, oder?«
Wir nickten. Wir kannten ihn.
»Also schön«, sagte Cathy. »Ich kenne ihn, seit ich zwölf war. Wir waren zusammen im Ferienlager, und seitdem bin ich in ihn verliebt. Wir waren befreundet, aber ich glaube nicht, dass er was gemerkt hat. Oder vielleicht doch. Aber ich glaube nicht.«
»Aber Chloe hat was gemerkt?«, fragte Tracy.
»O mein Gott«, sagte Cathy, »sie hat es total gemerkt. Scheiße! Ich meine, ich habe ja ständig über ihn geredet, klar, dass sie was gemerkt hat. Eines Abends sitzen wir also im Blanche’s, und Hank ist auch da. Er setzt sich zu uns, und alles ist in Ordnung, und wir trinken immer weiter. Und dann fängt Chloe plötzlich an, mit ihm zu flirten. Zuerst dachte ich, ich bilde es mir nur ein …«
»Du hast es dir nicht eingebildet«, fiel ihr Georgia ins Wort, »ich war auch dabei. Ich habe es selbst gesehen. Chloe hat sich ihm an den Hals geschmissen. Es war ekelhaft.«
»Einfach ekelhaft«, wiederholte Cathy. »Wir sind auf die Toilette, und ich habe gefragt, was zum Teufel tust du da? Und sie hat die Unschuldige gespielt, so nach dem Motto, ich weiß
Weitere Kostenlose Bücher