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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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arbeitet manchmal für Ace. Sie heißt Chloe.«
    CC ignorierte uns. Er lief an uns vorbei und kletterte auf die Bühne.
    Tracy hielt das Foto für Johnny und Stiv in die Höhe. Sie gingen in die Hocke, um es zu betrachten. Sie stanken wie eine Bar nach einer langen Nacht.
    »Ja«, sagte Stiv, »die habe ich gesehen. Aber nicht heute.«
    »Wann?«, fragte ich. »Wann hast du sie zum letzten Mal gesehen?«
    »Keine Ahnung«, sagte Stiv. »Sie ist nur so ein Mädchen. Ich kann da nicht immer den Überblick behalten. Hast du sie gesehen, Johnny?«
    Johnny zuckte die Achseln. Er blinzelte, schaute beiseite. »Ich habe sie schon mal gesehen, irgendwann. Mehr weiß ich nicht.«
    »Sie wird seit etwa vier Tagen vermisst«, sagte ich. »Wir müssen vom Schlimmsten ausgehen.«
    CC zog seine grüne Samtjacke aus und warf sie zu Boden. Moschusgeruch erreichte uns. Ich nahm Tracy das Foto aus der Hand.
    »Hey«, sagte ich zu CC , »ich bitte dich doch nur, dir kurz ein Foto anzusehen.«
    »Ich habe keine Lust, mir dein blödes Foto anzusehen, kleines Mädchen«, sagte er. Irgendwo in den Tiefen des Gebäudes fing eine zweite Band zu lärmen an. Wütende Drums, kreischende Gitarre. »Hau ab. Du nervst.«
    Stiv stöpselte seinen Bass ein und machte sich daran, das Instrument zu stimmen. Der Gitarrist tat es ihm gleich.
    »Ich bitte dich doch nur …«, sagte ich zu CC .
    Mit einem Griff in seine Gesäßtasche unterbrach er mich, und ich sah etwas funkeln. Wie durch Zauberei hielt er plötzlich eine Rasierklinge in der Hand.
    »Ist mir doch egal«, sagte er. »Du kannst fragen und fragen und fragen, von mir wirst du keine Antwort bekommen.«
    Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenkrampfte und sich ein bodenloses, panisches Verlangen in mir breitmachte. Als wäre etwas für immer verloren, als hätte ich ein lebendiges Wesen vergessen, das auf mich angewiesen war. Scham und Reue und Übelkeit überkamen mich, und da wusste ich es.
    Ich wusste es.
    Das Gefühl war jedesmal anders und dennoch unverkennbar. Manchmal war es wundervoll und manchmal nur schrecklich, aber ich erkannte es auf Anhieb, so wie man einen alten Freund oder eine verhasste Erinnerung oder den eigenen Schatten erkennt.
    CC kannte Chloe. CC war eine Spur. Er war
die
Spur.
    Ich sah Tracy an, unsere Blicke trafen sich und ich wusste, auch sie spürte es. Ein Frösteln kroch mir über den Rücken. Vor meinen Augen sah ich eine Szene aus dem Traum, den ich ein paar Tage zuvor gehabt hatte. Chloe mit geschwärztem, eingedrücktem Gesicht.
    »Du kanntest sie«, sagte ich. »Du kennst sie.«
    »Vielleicht«, sagte CC , »vielleicht auch nicht.« Er setzte die Klinge an und fügte sich einen hauchdünnen Schnitt zu, vom Handgelenk bis zur Schulter. Eine rote Linie folgte der Klinge.
    »Scheiße«, sagte Ace, »ich hab’s verpasst.« Er griff zur Kamera, einer Minolta Super 8 , und fing zu filmen an. CC zog sich die Klinge quer über die Brust, ganz langsam, und den anderen Arm hinunter.
    »Vielleicht mag sie euch nicht«, sagte er. »Ist euch das je in den Sinn gekommen?«
    Ich wandte mich ab. Auf einmal war es in der Halle unerträglich heiß.
    »Klar doch«, sagte Tracy. »Aber die Leute, die sie mit Sicherheit mag, vermissen sie auch.«
    CC fuhr mit den Fingern über den Schnitt, um das Blut zu verteilen. Er strich in einer Abwärtsbewegung darüber, um eine so große Hautfläche wie möglich zu beschmieren.
    »Haut ab, ihr kleinen Mädchen«, sagte er. »Ich kann euch nicht leiden.«
    Er schüttelte die Hand, um uns mit Blut zu bespritzen. Ich sprang zurück.
    »Haut ab«, sagte er. »Es sei denn, ihr wollt alles, was ich zu bieten habe. Ich bin ansteckend.«
    Alle lachten. Ich trat einen Schritt vor.
    »Du weißt, wo sie ist«, sagte ich.
    »Haut ab«, wiederholte CC . »Ihr langweilt mich. Niemand interessiert sich für euch.«
    »Das weiß ich«, sagte ich trotzig. »Ich werde Chloe trotzdem finden.«
    »Ace!«, rief CC . »Schmeißt du die kleinen Schlampen jetzt raus, oder muss ich das selber machen?«
    »Versuch’s doch, du verfickter …«, fing Tracy an, aber Ace hatte sich schon in Bewegung gesetzt. Er packte uns jeweils beim Arm und schob uns mit Nachdruck, aber ohne übermäßige Gewalt zum Ausgang.
    »Geht einfach«, flüsterte er. »Ich rufe die Mitbewohnerin an, sobald ich Chloe gesehen habe, okay? Ihr könnt mir glauben.«
    Sanft schob er uns zur Tür. Er hatte dunkle Bartstoppeln und roch wie ein Mann.
    »Und falls ich euch vor dem Gebäude beim

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