Das Ende der Welt
Sie war die Bassistin einer recht erfolgreichen Band. Sie hatten einen Plattenvertrag und verkauften sich einigermaßen. Ich fand ein Video auf YouTube.
Da war sie. Das Mädchen im weißen Kleid. Nur, dass sie hier ein blaues Kleid trug und Bass spielend auf einer Hügelkuppe stand. Ich betrachtete ihre tatöwierten Unterarme. Blaukehlchen – nein, Blauhäher. Diese Vögel veranstalteten einen Höllenlärm und vertrieben alle anderen Arten. Um jeden von Lucys Blauhähern wand sich ein Rosenkranz, samt Dornen und allem.
Auf ihrer Webseite fand ich ein Kontaktformular. In die Betreffzeile schrieb ich: Paul Casablancas. Ich schrieb, dass ich Privatdetektivin sei und mich mit ihr unterhalten wolle.
Eine Frau, die Blauhäher mochte, musste in Ordnung sein.
Sieben Minuten später kam ihre Antwort.
Hey, schrieb sie, ich würde liebend gern mit dir reden!
Sie schickte mir die Adresse eines Secondhand-Klamottenladens in der Hayes Street. Diese Woche arbeite sie jeden Tag dort. Falls ich vorbeikommen wolle.
Wollte ich.
San Francisco ist eine ziemlich selbstverliebte Stadt, und manchmal bleibt ein Hauch von diesem übertriebenen Selbstbewusstsein an den Einwohnern hängen. Eric von Springer, geborener Horowitz, war eine Berühmtheit, zumindest in San Francisco, weil er gut aussah, altmodische Anzüge und einen gewichsten Schnurrbart trug, kleine indische Bidis rauchte und allerhand interessante Projekte betrieb. Einmal im Jahr organisierte er in Castro einen Abend mit alten Horrorfilmen. Jeden Sommer veranstaltete er ein Konzert im Adventure Park in Berkeley. Er besaß eine kleine Firma, die Stummfilme auf DVD neu herausbrachte.
Ich besuchte Eric daheim in seinem Art-déco-Bungalow in Albany nördlich von Berkeley. Das Haus war mit Monsterfiguren und Filmdosen und Kinopostern vollgestopft. Eric rauchte einen Bidi und trug einen nicht näher klassifizierbaren Hut und einen schmalen, grauen Anzug. Ich erzählte ihm, dass ich den Mord an Paul untersuche. Wir waren einander bereits flüchtig begegnet, nach einer Filmvorführung im Red Vic und bei einer Privatparty im Noe Valley und noch einmal irgendwo anders.
»Dann warst du mit Paul befreundet?«, fragte er. Wir saßen im Wohnzimmer. »Ich war mal mit seiner Bekannten Lindsey zusammen. Du kennst doch Lindsey, oder?«, fragte er. »Von den Trunk Murderesses?«
»Klar«, sagte ich, »und kennst du nicht auch Ray Broderick?«
»O ja! Er lebt jetzt in Schweden. Du kennst Cooper, oder?«
»Cooper Daily?«
»Cooper Jones. Der die Buchmesse organisiert.«
»Ach ja, natürlich«, sagte ich. »Er hat immer tolle Sachen im Angebot. Letztes Jahr habe ich ihm antiquarische Kriminologielehrbücher abgekauft.«
Wir sahen einander schweigend an.
»Und du kennst Lydia Nunez«, sagte ich.
Er versuchte, unschuldig auszusehen. Ich warf ihm einen Vergiss-es-Blick zu. Er stöhnte und schüttelte den Kopf.
»Du lieber Gott«, sagte er, »hat es schon die Runde gemacht?«
»Nein«, sagte ich, »ich bin Detektivin. Ich weiß vieles, was die anderen nicht wissen.«
»Gott«, sagte er noch einmal. Er zündete sich einen weiteren Bidi an. »Tja, leugnen bringt mich wohl nicht weiter. Was möchtest du wissen?«
»Alles«, sagte ich. »Fang ganz von vorn an.«
Er seufzte tief. »Okay. Also, ich kenne Lydia seit Ewigkeiten. Und weißt du, irgendwie hatte ich immer schon was für sie übrig. Sie hat was … Ich schwöre, ich stehe seit den neunziger Jahren auf diese Frau. Weißt du, sie sieht gut aus, hat Köpfchen, da stimmt einfach alles. Aber zuerst war ich liiert, und dann war sie liiert, und außerdem dachte ich sowieso nicht, sie würde sich für mich interessieren. Aber ich stand auf sie. Sehr sogar. Im Ernst, ich hätte auf der Stelle mit jeder Freundin Schluss gemacht, um mit ihr zusammenzusein.«
Offenbar mochte Eric Frauen im Allgemeinen.
»Wie dem auch sei«, sagte er, um zur Chronologie zurückzukehren, »ich hatte Gefühle für sie, aber sie heiratete einen anderen. Was okay war, denn schließlich hätte ich bei ihr ohnehin nie landen können, nicht wahr? Ich finde mich damit ab, dass sie nun verheiratet ist, und alles ist im Lot. Dann, eines Abends, haben wir in diesem Saal in Oakland
DellaMorte DellAmore
gezeigt. Lydia war mit ihrer Freundin Carolyn gekommen. Wir sehen den Film an, der Projektor fällt immer wieder aus und so weiter. Jedenfalls spreche ich sie nach der Vorstellung an, und sie ist … du weißt schon. Man kann vielleicht nicht direkt von kokett
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