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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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wären beide dabeigewesen und hätten zugeschaut.
     
    Irgendwann trat Eric die Badezimmertür ein und warf mich aus dem Haus. Den Rest des Tages und den größten Teil der Nacht fuhr ich ziellos in der Stadt herum. Mit jedem verstreichenden Tag wurde das hässliche Ding in mir größer. Ich konnte ihm beim Wachsen zuschauen. Ich fütterte es mit Kokain. Ich liebte und umsorgte es, hielt es am Leben. Etwas war gestorben, aber vielleicht war das, was an seine Stelle getreten war, noch besser. Vielleicht lebten alle Menschen so, die normalen, die nicht ich waren.
    Samsara
war ein Name für den ewigen Kreislauf aus Leben und Tod, für die Dummheit, in der wir umherirren, bis wir Erleuchtung finden und uns mit dem Göttlichen vereinen. Der ganze Mist, der so weh tut. Die großen Ereignisse wie der Tod, der Verlust, der Schmerz, aber genauso die täglichen Mühen aus Essen, Schlafen und Wollen, Wollen, Wollen – das war
Samsara.
Angeblich sollte man daraus ausbrechen wollen. Angeblich sollte man sich auf die Suche nach dem Ausgang machen, nach der goldenen Eintrittskarte zur Schokoladenfabrik.
Escape from New York.
Zum Ausgang bitte hier entlang.
    Ich schnitt eine Kurve. Ich hielt am Straßenrand, um durchzuatmen und eine weitere Prise zu schnupfen. Als ich das Ziehen in den Nebenhöhlen spürte, kalt und eisig, fiel mir ein, dass ich schon zu viel genommen hatte, und ich beschloss, es dabei zu belassen. Meine Schleimhäute brannten, und ein Rinnsal aus Blut tropfte aus meinen Nasenlöchern.
    Manche Leute legten das Bodhisattva-Gelübde ab. Sie verpflichteten sich, im Fall ihrer Erleuchtung dort wiedergeboren zu werden, wo man sie am dringendsten brauchte – auf Erden, in der Hölle, im Fegefeuer, wo auch immer. Constance hatte das Gelübde abgelegt. Die Leute taten so, als seien die Bodhisattvas so verdammt selbstlos, dabei gefiel es ihnen hier unten vielleicht einfach besser. Im Himmel lockte das gute Klima, in der Hölle die gute Gesellschaft.
    Mir fiel ein, dass ich schon wieder nichts gegessen hatte.
    Ich dachte mir, dass die eine Hälfte der Bodhisattvas freiwillig hier war und die andere einfach nur Angst vor dem Abschied hatte. Nur deswegen gaben sie vor, unser Wohlergehen liege ihnen am Herzen. In Wahrheit waren wir ihnen scheißegal. Sie hatten bloß Angst vor dem Ende. Sie hatten genauso viel Angst wie wir alle, sich vom Schlechten, aber Vertrauten zu trennen und das Beste aus sich herauszuholen.
    Vermutlich war es genau so auch bei Lydia und Paul gewesen.

[home]
    44
    L ucy, wie ich sie mir vorstellte – die Frau aus dem Video –, kam der Lucy von früher wahrscheinlich sehr nahe. Ich stellte mir eine Frau vor, die oft lächelte. Die ganz allein zu einem Song tanzte, der ihr allein gefiel.
    Das war vor Pauls Tod gewesen.
    Jetzt war selbst ihre Art, auf einem Barhocker an der Kasse zu sitzen, unheimlich zornig. Ihr Fuß wippte, ein Bein war über das andere geschlagen, und die Schultern krümmten sich nach vorn, wie um das Herz zu schützen. Sie saß im Secondhandladen ihrer Freundin hinter dem Tresen, umgeben von Paillettenpullovern und Glitzerhandtaschen.
    Ich trank Kombucha, um meinen Magen zu beruhigen. Nach einer unruhigen, schlaflosen Nacht hatte ich mir Toast zum Frühstück gemacht. Ich hatte es mit etwas Kokain versucht, mich aber sofort übergeben.
    »Lydia hat ihn nach Strich und Faden betrogen«, sagte sie und trat gegen den Tresen. »Mit einem Typen aus dem Proberaum. Ein Typ aus einer Band, die im selben Raum probte. Irgendwas in der Art.«
    Der Raum drehte sich, und ganz kurz fragte ich mich, ob wir uns auf einem Boot befanden. Der Raum hielt an, und das Gefühl verschwand.
    »Und Paul wusste Bescheid?«, fragte ich.
    »Und ob«, sagte sie. »Und dieser Typ war nicht der erste.«
    »Wer dann?«, fragte ich.
    »Keine Ahnung«, sagte sie, »aber es lief schon eine ganze Weile so.«
    »Wie war das?«, fragte ich. »Ich meine, wie war die Ehe? Gab es ein bestimmtes Problem oder …«
    »Willst du wissen, wie es war?«, fragte Lucy und fuchtelte aufgebracht herum. »Die waren freiwillig unglücklich. Ich schwöre bei Gott. Ehrlich, es konnte einem schlecht dabei werden. Trennung, Versöhnung, Trennung, Versöhnung. Die haben einander wie Dreck behandelt.«
    »Wie Dreck?«, fragte ich.
    Lucy warf mir einen misstrauischen Blick zu, und ich fragte mich, ob sie ein bisschen verrückt war. Ich wusste, ich war selbst nicht ganz auf der Höhe.
    »Na ja, es war doch offensichtlich«, sagte sie. »Du

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