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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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sprechen, aber es war irgendwas in der Richtung. Also lade ich sie in eine Bar in Downtown-Oakland ein. Und hey.« Er seufzte. »Eigentlich bin ich nicht der Typ, der anderen die Ehefrau ausspannt.« Er seufzte noch einmal. »Und glaub mir, ich habe bekommen, was ich verdient habe.«
    Er zündete sich einen weiteren Bidi an und fixierte kopfschüttelnd einen unsichtbaren Gegenstand zwischen sich und der Wand. Er blies eine Qualmwolke in Richtung des unsichtbaren Dings.
    »Dann war es nicht von Dauer?«, fragte ich.
    Er schüttelte langsam den Kopf. »Es war nicht von Dauer«, sagte er zur Wand. »An dem Abend landeten wir im Bett, und am nächsten Morgen …« Er verzog den Mund zu einer schiefen Grimasse und schwieg für eine ganze Weile. »Als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin, telefonierte sie mit Paul. Sie hat gekreischt und gebrüllt. Na ja. Es war nicht so, dass sie überhaupt nichts für mich empfunden hätte, aber ich glaube … ich weiß auch nicht. Scheiß drauf.«
    Man musste keine Detektivin sein, um zu merken, dass ihn die Sache immer noch beschäftigte. Sehr sogar.
    »Was ist also ihre Masche?«, fragte ich. »Wie geht sie vor?«
    Er zuckte die Achseln. Kleine Falten der Verbitterung erschienen auf seiner Stirn. »Ich weiß es nicht. Oder vielleicht doch. Ich meine, ich war schon mit vielen Frauen zusammen. Ich glaube, ich bin bei Frauen ganz erfolgreich.« Das schien mir auch so. »Und Lydia … bis zu unserer gemeinsamen Nacht hatte ich nicht gemerkt, dass sie … dass sie eine von diesen Frauen ist, die die Aufmerksamkeit brauchen. Das Gefühl, hofiert zu werden. Ich glaube, sie genießt die Vorstellung, dass ein Mann – also irgendein Mann, ich, zum Beispiel – ihr bis ans Ende der Welt folgen würde. Was danach kommt, interessiert sie nicht. Das traute Glück betrachtet sie als
longueur.
«
    »Was ist das,
long…, longue
…?«, fragte ich.
    »Longueur«, korrigierte Eric meine Aussprache. »Das ist der lange, öde Mittelteil des Romans, den kein Mensch lesen will.«
    Er sah mich an.
    »Wart Paul und du nicht einmal …«
    Ich nickte. »Ja. Ist lange her.«
    »Weißt du, wenn ihr zusammengeblieben wärt, wäre alles …« Er unterbrach sich und warf mir einen beschämten Blick zu.
    »O nein, du liebe Güte«, sagte er, »so meinte ich das nicht. Es tut mir leid.«
    »Nein«, sagte ich, »nein, ist schon gut. Mach dir keine Gedanken. Darf ich mal die Toilette benutzen?«
    Er zeigte mir den Weg. Im Badezimmer hing ein gerahmtes Poster von Bela Lugosi als Dracula. Ich drehte den Wasserhahn auf, holte den Kokainbeutel heraus, tauchte meinen Hausschlüssel hinein und schnupfte zwei Portionen. Ich warf einen Blick in Erics Medizinschrank und landete einen Volltreffer: eine fast unangetastete Dreißigerflasche Oxycodon. Eric von Springer, geb. Horowitz, ich danke dir für deine Kiefer- OP . Ich danke den Engeln für deine schlechten Zähne und dein krankes Zahnfleisch. Ich wusste nicht mehr, wie viel Milligramm gut waren, deswegen nahm ich zuerst nur eine Tablette. Nach kurzem Überlegen warf ich eine zweite hinterher und verstaute das Fläschchen in meiner Handtasche.
    Mein Kopf brummte. Ich legte mich auf den kalten, cremeweißen Fliesenboden. Es roch nach Kiefernnadeln. Ich fragte mich, wie ein Fußboden nur so sauber sein konnte. Vielleicht wurde er geputzt. Meine Gedanken rasten.
    Eric würde einer Frau zuliebe keinen Mord begehen. Er mochte Lydia, aber er mochte viele von uns. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine bestimmte Frau ihm unersetzlich wäre.
    Eric klopfte an. »Claire? Äh, sorry, ist alles in Ordnung?«
    Ich fragte mich, wie viel Kokain ich für eine Überdosis bräuchte. Ich fragte mich, wann ich zum letzten Mal etwas gegessen hatte (irgendwann gestern). Der weiße Kachelboden war kühl, und das Weiß verstärkte mein Verlangen nach Drogen. Ich fragte mich, ob ich noch mehr nehmen könnte, ohne mich aufzusetzen. Vermutlich schon. Ich streckte den Arm nach meiner Handtasche aus. Als ich die Schultern ein bisschen verdrehte, klappte es.
    »Claire? Claire, bist du da drin?«
    Ich schnupfte eine weitere Prise und spürte ein Stechen in den Nasennebenhöhlen, und dann fing mein Herz zu flattern und zu stottern an. Es fühlte sich schön an. Aufregend. So, als könnte ich zu einem neuen Menschen werden.
    Wenn ich mich nicht von Paul getrennt hätte, wäre er vielleicht trotzdem gestorben. Vielleicht hätte ich ihn umgebracht. Aber ganz langsam, Stück für Stück, und wir

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