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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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weißt schon. Manche Leute ziehen sich gegenseitig runter. Runter und runter und immer weiter runter.«
    Was die Unterhaltung mit Lucy ganz gut zusammenfasste. Sie war ein schwarzes Loch, das alles einsog, während es kollabierte.
    »Angeblich war es die große Liebe«, fuhr sie fort, »gigantisch. Angeblich waren sie das ideale Paar. Tja, nichts ist perfekt. Nicht
so
perfekt.«
    »Nein«, sagte ich, »da hast du recht. Hat Paul … ich meine, abgesehen von dir … hatte er …«
    »Du willst wissen, ob er mit anderen Frauen geschlafen hat?«, beendete die wütende Lucy den Satz für mich. »Ich weiß es nicht. Ganz bestimmt nicht, während er mit mir zusammen war. Er hat ein paar Wochen vor seinem Tod Schluss gemacht. Er wollte es
noch einmal mit ihr versuchen.
Hat ja anscheinend super geklappt.«
    Ich schaute mich um. Ich bildete mir ein, hinter einem Kleiderständer eine Maus gesehen zu haben, war mir aber nicht sicher.
    »Ich hasse diesen Job«, sagte sie plötzlich. »Mein Song ist in allen verdammten Charts, und trotzdem muss ich das hier machen. Ich dachte, ich würde nie wieder hier arbeiten. Bei meiner alten Plattenfirma habe ich halb so viele Platten verkauft und doppelt so viel verdient. Das war der Fehler meines Lebens.«
    »Gibt es irgendeinen Job, den du weniger hassen würdest?«, fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich will das einfach nicht mehr.« Ihre Augen leuchteten fiebrig, und wieder fragte ich mich, ob mit ihr alles stimmte. »Das Leben am Existenzminimum. Da geht man neun Monate auf Tournee, nur um zwei Monate später wieder hier zu sitzen. Früher hat es sich noch gelohnt, aber heute erzählt dir jeder, du sollst dein Zeug selbst veröffentlichen und im Internet verkaufen. Ich will das nicht. Ich habe keine Lust mehr.«
    Sie schlang sich die Arme um den Körper.
    »Wenn man jung ist, kommt es einem so unendlich cool vor. Auf Tour gehen, sich schick machen und schminken, sich durch die Betten schlafen. Und jetzt bin ich vierunddreißig und pleite, und der Mann, der mir echt wichtig war, ist tot, und ich hasse meine Scheißband. Der Mann, der mir wichtig war und mit dem ich eine Zukunft haben wollte …«
    Sie hielt inne und blinzelte, so als hätte sie gerade erst gemerkt, dass sie ihre Gedanken laut aussprach. Sie zuckte die Achseln, schüttelte den Kopf und beendete das Selbstgespräch.
    Ich fragte sie, ob sie etwas trinken gehen wolle. Ich mochte sie nicht, aber Paul hatte sie gemocht.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich muss auf den Laden aufpassen«, sagte sie, »und außerdem trinke ich ohnehin zu viel. Was dich sicher nicht überraschen wird.« Sie lachte verbittert.
    »Pauls Freunde … du weißt schon«, sagte ich. »Wenn du reden willst oder so. Oder einfach nur etwas trinken gehen.«
    Sie sah mich an. »Wer bist du?«, fragte sie. »Bist du so eine Art Psychiaterin?«
    »Nein«, sagte ich. Der Raum drehte sich. Vielleicht sah ich ein Eichhörnchen durch den Laden flitzen, vielleicht auch nicht. »Ich will nur …«
    »Ist mir doch scheißegal, ob du mit Paul befreundet warst«, sagte sie mit lauter Stimme. »So gut könnt ihr gar nicht befreundet gewesen sein. Er hat nie von dir erzählt. Er hat nie gesagt: Meine Freundin Claire dies oder meine Freundin Claire das. Warum bist du überhaupt hier?«
    »Weil ich herausfinden muss, wer Paul umgebracht hat«, sagte ich.
    »Wen interessiert’s?«, schrie Lucy. »Herrgott. Glaubst du, das ist jetzt noch wichtig? Es war ein Raubüberfall. Wen interessiert’s?«
    »Mich«, sagte ich.
    »Was macht das für einen Scheißunterschied?«, kreischte die Frau. Ich kannte ihren Namen, aber er war mir plötzlich entfallen. »Wen interessiert’s?« Ich wusste nicht mehr, warum sie schrie. Mein Sichtfeld färbte sich an den Rändern rot und dann schwarz ein. »Er kommt nicht zurück. Nichts kann ihn wieder lebendig machen. Ist doch scheißegal, wer ihn erschossen hat. Bist du so was wie eine Detektivin? So nach dem Motto: Die Baronin war’s, im Salon, mit dem Feuerhaken? Jetzt hör mir mal gut zu, Lady: Es interessiert kein Schwein, es ist scheißegal, er ist und bleibt tot.«
    Ich verließ den Laden, kurz bevor ich ohnmächtig wurde. Die kalte, neblige Luft wirkte belebend. Ich holte tief Luft. Alles war in Ordnung. Ich stolperte zur nächsten Imbissbude um die Ecke und bestellte einen Hamburger, den ich zur Hälfte aß, und fühlte mich gleich besser.
    Wenn Lydia das Opfer wäre, hätte ich Lucy ohne zu zögern für verdächtig

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