Das Ende der Welt
und dachte. Ich weiß auch nicht. Dann traf ich ihn noch einmal, aber das war nicht mehr zufällig – er tauchte ein paar Tage später in der Bar auf. Seine Frau war auf Tournee. Seinen Schilderungen zufolge lief es zwischen ihnen wirklich schlecht. Und wir verstanden uns so gut. Nicht, dass ich mich rausreden will«, sagte sie hastig. Wie zur Verteidigung.
Ich betrachtete sie. »Weißt du, davon geht die Welt nicht unter. So was kommt ständig vor.«
»Ja«, sagte sie. »Aber bei mir nicht. Eigentlich. Und außerdem. Er und seine Frau haben nicht so viel Zeit miteinander gehabt. Wenn ich gewusst hätte …« Sie unterbrach sich und runzelte die Stirn. »Es fällt mir schwer, darüber zu reden. Ich hatte ihn wirklich gern. Sehr gern. Er war absolut … also, ich glaube, er wollte mir nicht weh tun. Hat er aber.«
Ich fragte mich, was Paul an ihr gefunden hatte. Sie war ganz hübsch, aber alles in allem recht uninteressant. Eins war klar, sie konnte Lydia nicht das Wasser reichen. Ich war mir zu 99 , 9 Prozent sicher, dass sie keiner Fliege etwas zuleide tun würde, geschweige denn einem Menschen. Sie stand nicht auf meiner Verdächtigenliste.
»War er in dich verliebt?«, fragte ich.
Josh zuckte zusammen, aber Sheila antwortete ehrlich: »Nein, ich glaube nicht. Am Anfang machte es den Eindruck, aber nach ein paar Treffen schien er das Interesse verloren zu haben.«
Bestimmt war Sheila ein nettes Mädchen. Anspruchslos. Unkompliziert. Das mochte ihm gefallen haben. Wahrscheinlich hatte Paul sich nach kurzer Zeit gelangweilt.
»Erzähl mir was über Paul«, bat ich.
»Er hatte etwas Düsteres«, sagte sie. »Ich glaube, daran konnte keine Frau etwas ändern. Ich habe mir eingebildet, ich könnte ihn glücklich machen. Ich habe nicht lange gebraucht, um einzusehen, wie falsch ich damit lag. Ich glaube, das hätte keine Frau geschafft. Da war etwas, an das keine Frau herankommen konnte, weder ich noch Lydia oder sonst eine.«
Sie legte den Kopf schief, dachte kurz nach und korrigierte sich.
»Außer er hätte eine getroffen, die so gewesen wär wie er«, sagte sie. »So düster und daneben wie er. Ich glaube, wenn er so eine kennengelernt hätte, dann wäre es gutgegangen.«
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42
A n dem Abend spielten die Salingers in der Hemlock Tavern. Ich ging allein hin. Es waren weniger als ein Dutzend Zuschauer gekommen. Die Band spielte alte Country-Songs von Hank Williams und der Carter Family. Die Sängerin klang, als hätte sie sich das Herz rausgerissen. Sie sang aus den Tiefen ihrer Seele, aus einem Ort, von dessen Existenz die meisten Menschen nicht einmal wussten. Es war, als hätte sie einen direkten Zugang zu ihrem Innersten gefunden. Vier Leute standen direkt vor der Band. Ein Pärchen versuchte zu tanzen, aber die Musik passte nicht zu den Schritten, und sie fanden keinen Rhythmus. Hinten an der Bar lachten und grölten ein paar Collegejungs. Keiner hörte richtig zu.
Nach dem Konzert ging ich zur Bühne, wo die Band ihre Instrumente einpackte.
Mädchen, Junge, Mädchen, Junge.
Ich entschied mich für Mädchen und sprach Nita an, die Gitarristin.
»Hi«, sagte ich. Im selben Augenblick erinnerte ich mich, und ich fügte hinzu: »Ich glaube, wir kennen uns.«
»O mein Gott«, sagte sie, »
du
bist es!«
»Ich?«, fragte ich.
»Die Frau«, sagte sie, »in die Paul so verliebt war.«
Ich entschuldigte mich, lief zur Toilette und zog vom Klodeckel zwei lange Lines Koks auf. Ich durchwühlte meine Taschen nach mehr und fand die Tylenol- 3 , die ich in Oakland aus dem Medizinschrank meiner Barbekanntschaft geklaut hatte. Ich warf zwei davon ein.
Während Nita ihr Equipment in irgendjemandes Van einlud, wartete ich an der Bar. Nita war etwa so alt wie ich, wirkte aber härter, ledriger. Schließlich setzte sie sich zu mir und bestellte ein Red Stripe.
»Damals in Chinatown«, sagte sie. Ich erinnerte mich. Ich hatte Paul damals länger nicht gesehen. Nicht mehr, seit ich nach Peru gefahren war. Eines Abends lief ich an dem veganen Restaurant vorbei und hörte, wie jemand meinen Namen rief. Es war Paul. Er trank mit Nita Tee. Ich ging hinein und setzte mich dazu und bestellte Tee und Möhrenkuchen.
»Dann bist du gegangen, und Paul sagte, er wäre verrückt nach dir gewesen. Du warst ihm entwischt.«
Ich zuckte die Achseln. Spät am Abend wirkten alle Ex-Partner attraktiv.
»Die Hochzeit mit Lydia hat mich überrascht«, sagte Nita, »ehrlich. Ich dachte immer, ihr zwei würdet … eines
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