Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
Vom Netzwerk:
Tages …«
    Sie merkte, dass sie Blödsinn redete, und verstummte. Ich fragte nach der Blondine im weißen Kleid.
    »Oh«, sagte sie, »das ist Lucy. Sie ist eine Freundin von Petes Freundin. Ich weiß, dass Paul sie ganz attraktiv fand. Das konnte man sehen. Aber ob er Lydia betrogen hätte … glaubst du wirklich?«
    »Ich weiß nicht«, log ich. Ich sah keinen Grund, ihre Illusionen zu zerstören. »Ich habe auch nur gefragt, weil sie eventuell etwas weiß.«
    »Ich kannte ihn recht gut«, sagte Nita. »Ich glaube nicht, dass da irgendwas vorgefallen ist.« Sie atmete tief ein und ganz langsam wieder aus. »Ich weiß auch nicht. Im letzten Jahr wirkte er irgendwie verändert. Er machte einen niedergeschlagenen Eindruck.« Sie runzelte die Stirn. »Die meisten wussten gar nicht, wie intelligent er tatsächlich war«, sagte sie. »Weißt du, von einem Musiker erwarten die Leute nicht viel. Dabei hat er gern gelesen, er kannte sich mit den seltsamsten Dingen aus. Aber er wollte spielen, nicht den ganzen Tag mit Büchern zubringen, verstehst du? Und für eine ganze Weile ging das gut. Und dann …«
    »Dann was?«, fragte ich.
    Nita zuckte die Achseln. »Ich weiß auch nicht. Ich glaube, er ist einfach auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Sie haben sich nur noch gestritten. Ich glaube, er wusste, dass seine Ehe am Ende war.«
    »Warum?«, fragte ich.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie wieder. »Es ist leicht, ihr die Schuld zuzuschieben. Sie war nie zufrieden, weißt du. So eine war sie. So eine, die beim geringsten Anlass eingeschnappt ist.«
    Aus Nitas Gesichtsausdruck schloss ich, dass sie viele solcher Frauen kannte.
    »Und Paul war auch nicht ohne«, fuhr sie fort. »Er hat sie geliebt und gemocht, aber irgendwie hatte es den Anschein, als wäre er nie wirklich verrückt nach ihr gewesen. Er hat sie unterstützt und alles versucht, um die Ehe am Laufen zu halten. Aber irgendwas hat gefehlt. Das gewisse Etwas. Wenn sie hereinkam zum Beispiel – man merkte, er war froh, sie zu sehen, aber er hatte nie diesen
wow
-Ausdruck. Er sah nicht aus wie ein Mann, der seine Frau immer noch über alles liebt. Er hatte nicht dieses Blitzen in den Augen. Seine Karriere lief ganz gut, aber du weißt ja, wie das ist. Er war zu ausgebucht, um zu tun, wonach ihm eigentlich der Sinn stand, und gleichzeitig zu unbekannt für einen professionellen Manager oder Assistenten. Ich weiß auch nicht. Vielleicht lag es am Älterwerden. Da müssen wir alle durch. So ist es nun mal im Leben. Und besonders für Musiker. Man setzt alles auf eine Karte, man hängt sich voll rein, und die Karte – es ist ja nicht so, dass man komplett verloren hat. Aber man wird einfach alt. Der Reiz geht verloren. Inzwischen muss ich einsehen, dass wohl keiner von uns das große Los gezogen hat.« Sie lachte verbittert. »Manchmal liege ich nachts wach und zähle die Freunde, die mir helfen würden, falls ich wirklich mal Geld bräuchte. Die Zeiten haben sich geändert. Von denen, die bei den großen Plattenfirmen untergekommen sind, würde mich keiner für einen Gastauftritt bezahlen, bloß weil wir mal befreundet waren. Am Ende hoffst du dann, dass jemand zu deinem Song zum ersten Mal geküsst oder bei einem deiner Konzerte zum ersten Mal Acid genommen hat. Und wenn dieser Jemand dann Karriere macht, wenigstens so halbwegs, lädt er dich vielleicht ein, bei seinem runden Geburtstag zu spielen. So wie nächste Woche.« Sie trank einen Schluck Bier und runzelte wieder die Stirn. »Und so sitzt man da mit seiner Karte. Mit der einzigen Karte, auf die man gesetzt hat.«
     
    In einem Brief an Jay Gleason schrieb der alte, verbitterte Silette: »Der Detektiv kennt seine Grenzen nicht, bis er auf ein Rätsel stößt, das ihn ins eigene Herz trifft. Aber eins kannst du mir glauben: Es ist die Mühe nicht wert. Ich wäre lieber der bemitleidenswerte Stümper von früher, wenn ich dafür nur meine Tochter zurückbekäme.«

[home]
    43
    San Francisco
    I ch machte Lucy, das Mädchen im weißen Kleid, ausfindig, indem ich mich auf Facebook mit Pete von den Salingers anfreundete und über ihn mit Kim, seiner Freundin, die wiederum mit Lucy befreundet war. Ich gab mich als Wanda DeVille aus, Tattookünstlerin aus Williamsburg, Brooklyn. Dazu musste ich Wandas Biografie leicht anpassen. Sie war eines von zehn Online-Phantomen, die ich erfunden hatte und am Leben hielt. Wanda hatte 4289  Freunde und war fast von Anfang an bei Facebook dabei.
    Lucy war zweiunddreißig.

Weitere Kostenlose Bücher