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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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einen Kaffee zu trinken. Die Bedienung im Coffee Shop war erst fünfundzwanzig, aber ihre Arme und Beine waren von Tätowierungen bedeckt. Ich sagte ihr, dass ich die jungen Leute nicht verstehen könne. Was, wenn sie an ihrem dreißigsten Geburtstag anders aussehen wollte? Sie las die Tätowierungen an meinem Arm: ein Fingerabdruck, eine Lupe.
Misstraue
der Obrigkeit
allen. Glaube nichts.
Ich ließ meine Jacke von meinen Schultern rutschen, um ihr die Worte
Freiheit oder Tod
auf meinem Rücken zu zeigen.
    »Du weißt doch, was man über die Freiheit sagt«, meinte sie, und schon dachte ich, sie würde Janis Joplin zitieren. Aber dann sagte sie: »Sie allein macht das Leben lebenswert.«
    Ich war anderer Meinung, wollte aber nicht diskutieren. Ich hätte mir mit fünfundzwanzig auch nicht geglaubt. Nach ihrer Schicht liefen wir, ich mit Kaffeebecher in der Hand, durch die Pacific Street und dann zum Hafen. Dort beobachteten wir für eine Weile die Seelöwen, und dann lud ich sie zum Mittagessen ins Stagnaro’s ein. Sie war noch nie dort gewesen, und man merkte, wie beeindruckt sie war. Nach dem Essen spazierten wir in die Stadt zurück. Oben auf dem Berg küsste sie mich.
    Ich erwiderte den Kuss. Sie wollte mich zu sich nach Hause mitnehmen, in ihr WG -Zimmer, aber ich bestand auf einem Hotelzimmer. Ich bin zu alt, um mich am Morgen mit Mitbewohnern auseinandersetzen zu müssen. Am nächsten Tag schlich ich mich schnell und leise aus dem Zimmer, während sie noch schlief. Ich hoffte, ich würde sie nie wiedersehen.

[home]
    48
    C laude fand heraus, wo Lydia probte. Er hatte es im Twitter-Feed des Schlagzeugers gelesen. Es handelte sich um einen Proberaum in Bernal Heights, den man stundenweise anmieten konnte. Wir hätten sie natürlich selbst fragen können, aber es erschien mir klüger, sie aus diesem Ermittlungsansatz herauszuhalten. Claude hatte sein Talent bewiesen und die Auswahl auf drei Bands eingegrenzt – drei Bands, an deren Musikern Lydia möglicherweise Gefallen gefunden hatte.
    »Dort proben an die zwanzig Bands. Sie steht nicht auf Frauen, oder?«, fragte er zögerlich. Wir waren bei mir zu Hause, saßen auf den großen Sofas und tranken weißen Pfingstrosentee, den ich gekocht hatte.
    »Nein, bestimmt nicht«, sagte ich.
    »Und wahrscheinlich steht sie auf einen ganz bestimmten Typ von Mann?«, fragte Claude.
    »Genau«, sagte ich.
    »Auf der Grundlage von Geschlecht, Aussehen und musikalischer Orientierung konnte ich die Hälfte der Bands ausschließen. Ich meine, sie würde sich kaum auf einen, sagen wir mal, Hippie einlassen, richtig?«
    »Volltreffer«, sagte ich. Ich war stolz auf Claude. Er schlussfolgerte sich durch die Nacht, während ich faul durch die Gegend fuhr.
    »Ich habe außerdem Hip-Hop, Fusion Jazz, eine Yoga-Gruppe und so eine Band mit Kreischgesang ausgeschlossen, okay?«
    »Klingt perfekt«, sagte ich.
    »Bleiben also drei Bands mit potenziellen Partnern für Lydia. Die erste ist eine Art Punkband mit dem Namen Scorpio Rising. Die Mitglieder sind recht jung, aber eine Liaison wäre durchaus im Bereich des Möglichen. Zweitens …«
    »Halt«, sagte ich, »mach mal Stopp.«
    Er sah mich fragend an. Die Unsicherheit war ihm vom Gesicht abzulesen.
    »Du hast nichts falsch gemacht«, sagte ich. »Ganz im Gegenteil. Du hast alles richtig gemacht. Aber jetzt stellst du mir drei Bands vor, wo es in deinem Herzen doch nur eine gibt, oder?«
    Er schnitt eine Grimasse, so als verstehe er kein Wort.
    »Eine«, wiederholte ich. »Du hast drei. Aber du weißt, es kann nur eine sein. Claude, unser Leben hängt davon ab. Das Schiff sinkt, und du musst dich für ein Rettungsboot entscheiden. Auf dich ist ein Revolver gerichtet, aber nur eine Kammer ist geladen.«
    Er runzelte die Stirn.
    »Sag es mir einfach«, forderte ich ihn auf. »Ich werde dir nicht böse sein, wenn du dich irrst. Aber ich werde böse, wenn du mich anlügst.«
    »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ehrlich.« Aber dann zog ein Ausdruck über sein Gesicht, den ich noch nie gesehen hatte, und er sagte: »Scorpio Rising.«
    »Sicher?«, fragte ich. »Vergiss nicht, wir werden mit der Waffe bedroht. Nur eine Patrone. Hast du richtig geraten?«
    Er sah mich an, und ich spürte seine Verwandlung.
    »Ich bin mir sicher«, sagte er. »Scorpio Rising.«
    Ich wusste, er hatte recht. Im Hotel in Santa Cruz war ich mitten in der Nacht aufgestanden, um zur Toilette zu gehen. Als ich zurückkam, entdeckte ich etwas, das ich zuvor

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