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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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übersehen hatte: auf dem Steißbein des Mädchens, mit dem ich geschlafen hatte, krümmte sich ein tätowierter Skorpion.
    Claude und ich sahen uns die Facebook-Seite der Band an. Die Musiker waren attraktiv und wenig originell, junge Männer mit hübschen Gesichtern und marktkompatiblem Zorn. Sie würden am nächsten Tag in Oakland auftreten. Ich war dabei.
     
    An diesem Abend, es war der achtundachtzigste Tag nach Pauls Tod, tat ich, was ich in letzter Zeit fast jeden Abend tat: Ich fuhr durch die Stadt, stoppte hier und da für einen Drink, leerte die Kokstüte vom Vorabend und kaufte eine neue bei einem Typen aus dem Mission District. Er hieß Adam. Er verpackte seine Ware in ausgerissene Seiten aus dem National Geographic.
Der letzte Flug des Kondor. Goldrausch. Der magische Schlamm Iberias.
Adam war hundert Jahre alt und wohnte seit Menschengedenken in einem kleinen Drecksloch an der Valencia. Er verkaufte mir eine Achtelunze besonders günstig, weil er sich an mich und den Fall des unterschwelligen Vermieters erinnern konnte. Nur meinetwegen genoss er in seinem Apartment lebenslanges Wohnrecht. Manche Leute erinnern sich, aber die meisten vergessen. Die meisten Leute erzählen mir täglich, ich läge falsch. Die meisten Leute behandeln mich, als wäre jeder Fall mein erster. Die Leute vergessen, dass ich Bescheid weiß. Dass ich manchmal (wenn auch nicht immer) weiß, was wahr ist.
    Ich vergesse es manchmal selbst. Bis die schmerzliche Wahrheit sich nicht länger im Herzen einsperren lässt, bis sie sich befreit und spritzend zu Boden fällt, blutig und rot, und ich mich nicht länger verstecken kann.
    Während ich durch Embarcadero fuhr, fiel mir ein, dass Tracy angerufen hatte. Es war zehn Uhr. Nein, es war Mitternacht. Zwei Uhr. Drei Uhr. Ich schwebte am Fährhaus vorbei, unter der Brücke durch, machte kehrt, fuhr nach Chinatown zurück und wusste nicht, warum.
    Nein, nicht Tracy, Kelly hatte angerufen. Ich hörte meine Mailbox ab.
    Murmel murmel ruf mich wegen der Sache mit Cynthia Silverton an murmel murmel.
     
    Ich fuhr nach Oakland und klingelte bei Bix. Er machte nicht auf. Ich klingelte noch einmal und noch ein paarmal. Er kam mit einem Baseballschläger an die Tür, so wie ein Dad aus der Vorstadt, dessen Tochter mit einem Hell’s Angel nach Hause kommt. Er legte den Schläger nicht beiseite, als er mich sah. Er seufzte nur.
    »Komm schon«, sagte ich. »Ich will sie mir nur ansehen.«
    »Es ist drei Uhr morgens«, sagte er.
    »Ist ja nicht so, als wärst du gerade beschäftigt«, sagte ich. »Komm schon. Ich zahle auch.«
    Ich öffnete meine Brieftasche. Sie war leer.
    »Das nächste Mal«, sagte ich. »Ich zahle nächstes Mal.«
    Bix entspannte sich und ließ den Baseballschläger fallen.
    »Jetzt ist es gerade ungünstig«, sagte er.
    »Wenn man auf den günstigsten Moment wartet«, erklärte ich, »wird meistens nichts draus.«
    »Ich habe Besuch«, sagte er.
    »Du könntest mir die Comics verkaufen«, sagte ich. »Oder ausleihen. Dann komme ich nie wieder!«
    Er seufzte noch einmal.
    »Ich weiß«, sagte ich. »Du würdest mich vermissen.«
    »Nein«, sagte er, »ganz bestimmt nicht.«
    Er seufzte zum dritten Mal. Dreimal, wie im Märchen.
    »Komm rein«, sagte er. »Aber du musst im Schlafzimmer lesen. Ich brauche meine Privatsphäre.«
    »Wäre das Schlafzimmer dafür nicht perfekt geeignet?«, fragte ich, als wir die Treppe hochstiegen.
    »So weit sind wir noch nicht«, sagte er.
    Wir betraten das Loft. Auf dem Sofa saß eine hübsche junge Frau in einem gelben Kleid. Sie trug eine schwarze Hornbrille und Turnschuhe. Sie starrte mich an, als wäre ich Bix’ Mutter.
    »Hallo«, sagte ich, »ich bin die Tante Claire.«
    Sie lächelte verwirrt und winkte knapp. »Hey«, sagte sie.
    Bix verfrachtete mich samt den Comics ins Schlafzimmer. Ich legte mich aufs Bett, das er sorgfältig gemacht hatte in der Hoffnung, bei der Frau im gelben Kleid landen zu können, und schlug willkürlich einen Band auf. Nummer dreizehn. An den konnte ich mich erinnern. Ich überschlug die Bildergeschichte und blätterte zum Cynthia-Silverton-Krimi vor. Neben der Geschichte war eine Annonce für eine Detektivschule in Nevada abgedruckt.
Hey, Kids, wollt ihr als echte Detektive Geld verdienen?
    Schön wär’s, dachte ich.
    »Wie löst man einen Kriminalfall?«, fragte Cynthia den alten Professor Gold. »Wenn uns die Wissenschaft nicht weiterhilft – wie bringen wir den Täter dazu, ein Geständnis abzulegen?

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