Das Ende der Welt
Wie können wir das Rätsel lösen?«
Aus dem Nebenraum drang Musik, etwas Klassisches. Während ich las, sah ich die Szene vor mir: Der blasierte Professor Gold mit Pfeife und allwissendem Lächeln und Cynthia im eisvogelblauen Sommerkleid. Sie sitzen in Cynthias tadellos aufgeräumtem Fünfziger-Jahre-Wohnzimmer in Rapid Falls. Im Kamin brennt ein Feuer. Der frühsommerliche Abend ist kühl.
»Gute Frage!«, antwortete der Professor lächelnd. »An dieser Stelle bekommt die Profidetektivin die Gelegenheit, sich hervorzutun. Du weißt doch, was es bedeutet, eine Weihegabe darzubringen? Etwas zu opfern?«
»Sie sprechen von meinem Altar, auf dem Weihrauch und Wasser für die Tertöns stehen, die vor uns kamen?«, fragte Cynthia und nippte verbotenerweise an einem Martini.
Professor Gold stand auf und trat an den Kamin. Er klopfte seine Pfeife am Stein aus, so dass die Asche herausfiel.
»Genau«, sagte er. »Aber es gibt auch andere Opfergaben. Nicht nur Rauchwerk und Wasser. Man kann sich selbst hergeben, indem man … aber nein, Cynthia, du sollst es erraten.«
Cynthia lächelte verunsichert. War sie der Herausforderung gewachsen?
»Nun ja«, begann sie zögerlich, »es könnte bedeuten …« Sie runzelte die Stirn. Eine harte Nuss! »Ich könnte ihnen Geld anbieten«, überlegte sie. »Aber Geld gibt es überall. Ich könnte
mich
anbieten, aber Sie wissen ja, ich spare mich für Dick auf. Du liebe Güte, Professor Gold, ich gebe auf!«
Der Professor lächelte Cynthia, seine Lieblingsstudentin, wohlwollend an. Er griff in die Tasche seines Blazers und zog ein kleines Messer heraus, dessen Griff aus Hirschhorn gefertigt war. Er klappte die Klinge aus und schnitt sich in die Brust. Er setzte oben an der Kehle an und zog das Messer abwärts, nicht ganz in der Körpermitte, sondern nach links versetzt, bis das Fleisch lose von seinen Rippen hing. Er bog die Knochen beiseite und holte sein Herz heraus. Er nahm es in beide Hände und hielt es Cynthia hin. Blut tropfte auf den Teppich.
Cynthia lachte und quiekte vor Vergnügen. »Jetzt hab ich’s verstanden!«, rief sie. »Oh, Professor Gold, ich danke Ihnen! Nun hab ich’s verstanden, ehrlich!«
[home]
49
Brooklyn
D as Hell lag am Ende der West Side. Davor blühte der Straßenstrich. Die Nutten in Brooklyn trugen alte Jeans und Parkas und sahen obdachlos aus, was viele von ihnen auch waren. Die schicken Huren in Manhattan sahen aus wie die Huren im Fernsehen, mit auftoupiertem Haar und viel Make-up und High Heels und Hotpants. Manche trugen nur Unterwäsche, Bodys und Korsetts und Strapse. Sie traten von einem Bein aufs andere, um sich aufzuwärmen.
Wir stiegen auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus dem Taxi. Im Auto neben uns saß ein Paar, das sich hektisch und rhythmisch bewegte. Es schien weder dem Mann noch der Frau Spaß zu machen.
Im Hell war es dunkel. Die Musik war laut, es stank nach altem Schnaps und Sperma. An den Wänden standen gefesselte Menschen, die sich schlagen ließen. Ich versuchte, nicht hinzusehen. Wir schlichen weiter. In einem anderen Raum wurden Menschen geritten wie Pferde und Ponys. Eine Frau saß auf einem Mann im Lacklederkostüm. Ein schwarz glänzendes Pferdchen. Wir schauten für eine Weile zu. Wären wir nicht wegen des Falles gekommen, hätten wir es fast lustig gefunden.
Ich blieb cool, bis wir in das Spritzenzimmer kamen. In das Zimmer mit dem Blut.
Die Musik pulsierte. Ich spürte etwas an meinem Arm, auf meinem Kopf. Noch bevor ich mich umdrehen konnte, hörte ich Tracy sagen: »Nimm deine dreckigen Pfoten da weg. Fass sie bloß nicht an.«
»Sorry«, sagte eine heisere Männerstimme. Dann wurde alles schwarz.
Der Mann war verschwunden, ich saß auf einem Stuhl. Jemand hielt mir ein Wasserglas an die Lippen.
»Trink einen Schluck«, sagte Tracy. »Gleich geht es dir besser.«
Ich trank und fühlte mich tatsächlich besser. Tracy kniete vor mir. Wir befanden uns in der Damentoilette, vor den Spiegeln. Alles wurde wieder klar. Trotz der stampfenden Musik hörte ich ein Stöhnen. Ich drehte mich um und entdeckte zwei Paar zitternde High Heels unter der Tür einer Toilettenkabine.
»Was ist passiert?«, fragte ich. »Haben wir sie gefunden?«
Tracy schüttelte den Kopf. »Es muss einen geheimen Raum geben«, sagte sie. »Eine VIP -Lounge, irgendwas in der Art.«
Eine Frau, die sich gerade die Hände wusch – wozu eigentlich? –, hatte uns gehört und drehte sich um. Ihre Lederkorsage entblößte
Weitere Kostenlose Bücher