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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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riesige Brüste. Sie trug passende Ledershorts und kniehohe Stiefel. Sie war über vierzig und hatte langes, dunkles Haar. Sie kam mir anders vor, und ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, warum: Sie war nüchtern.
    »Ich weiß ja nicht, wen ihr sucht«, sagte sie, »aber es gibt tatsächlich ein Privatzimmer. Lennys Büro. Lenny ist der Besitzer. Es ist eine Art Partyraum – er lässt nur seine Freunde rein, Leute, die er gut kennt. Da kann man tun, was hier draußen nicht erlaubt ist. Konnte ich euch weiterhelfen?«
    Sie strahlte uns an. Ich konnte sie kaum ansehen, ihre unglaublich alten Brüste, die goldenen Ringe in ihren Brustwarzen, ihr sonniges Lächeln. Aber Tracy sah ihr direkt in die Augen und sagte: »Vielen, vielen Dank. Sie sind uns eine große Hilfe. Ehrlich gesagt suchen wir unsere Freundin. Vielleicht kennen Sie sie?«
    Tracy nahm das Foto von Chloe und zeigte es der Frau. Die Frau schüttelte den Kopf.
    »Nein, leider nicht«, sagte sie, »aber sie ist genau Lennys Typ. Ich würde es im Büro versuchen.«
    Die Frau beschrieb uns den Weg zum Büro: hinter der Bar die Treppe hinauf, dann bis zur Tür am Ende des Korridors. Bevor sie die Damentoilette verließ, hielt sie inne, musterte uns und sagte: »Die meisten hier sind ganz nett. Wenn es anders wäre, würde ich euch jetzt zur Tür bringen und rausschmeißen lassen. Aber Lenny … Ich sehe, dass ihr keine normalen Teenies seid. Das ist mir klar. Aber mit Lenny ist nicht zu spaßen, okay? Ich bin hart im Nehmen, aber auf Lennys Partys gehe ich nicht. Nicht mehr. Habt ihr verstanden?«
    Wir sahen einander an und nickten. Wir hatten verstanden. Was wir bislang vom Hell gesehen hatten, stimmte uns nicht gerade fröhlich.
    »Okay«, sagte sie im Hinausgehen, »passt auf euch auf, Kinder!«
    Lennys Büro war dort, wo die Frau gesagt hatte, die Treppe hinauf und am Ende des dunklen Korridors. Als wir vor der Tür standen, durchlief mich ein kalter Schauder. Ich sah Tracy an und wusste, auch sie fühlte es.
    Chloe war hinter der Tür. Ich wusste es. Ich spürte, wie die Saite, die zwischen uns gespannt war, die Saite zwischen Detektivin und Opfer, zu schwingen anfing. Nun gab es kein Zurück mehr, die Saite konnte nicht durchtrennt, der Knoten nicht gelöst werden. Ich wusste, dass Chloe und ich für immer aneinander gebunden waren, egal, ob ich sie dieses Mal fand oder letztes Mal oder nächstes Mal. Sie würde immer das verschwundene Mädchen sein und ich die Detektivin. Und eines Tages würde ich verlorengehen, damit sie, die Detektivin, mich finden konnte. Wir waren aneinander gebunden, aber wir hatten die Wahl, in der Hölle oder im Himmel zusammenzuleben. Uns konnte nichts trennen, so oder so, und unsere Wahl würde noch jedes gesprochene Wort beeinflussen.
    Genau aus diesem Grund hatte ich Angst davor, die Tür zu öffnen.
    Tracy zwängte sich an mir vorbei, packte den Türknauf und zog, als wollte sie einen Verband abreißen.
    Zunächst bemerkte uns niemand. Das Büro war klein und düster wie jedes andere Clubbüro auf der Welt. Als gäbe es in jedem Club der Welt das gleiche Hinterzimmer und eine Tür, die hineinführte. Hinter einem ramponierten Schreibtisch saß ein Mann mit Sonnenbrille, von dem ich annahm, dass es Lenny, der Besitzer war. Mitten im Raum sah ich zwei Frauen, die … ja, was taten sie eigentlich? Die eine, dünn und blass, kniete auf allen vieren auf dem schmutzigen Boden. Über sie stand eine zweite Frau gebeugt, die etwas in der Hand hielt und – was tat sie da?
    Ich ließ meinen Blick durchs Zimmer schweifen. Ein paar Stühle. Ein Schreibtisch und ein altes Sofa. Insgesamt etwa acht Leute saßen herum und plauderten wild durcheinander, die meisten in diesem speziellen, heiseren, hektischen Kokaintonfall. Auf einem niedrigen Tischchen neben dem Sofa lagen mehrere Lines zur Selbstbedienung.
    Als meine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, erkannte ich CC auf dem Sofa. Er trug immer noch denselben grünen Samtanzug ohne Hemd. Er schniefte und rieb sich die Nase und beobachtete die Frauen.
    Ich folgte seinem Blick und erkannte endlich, was die stehende Frau in der Hand hielt. Ein Messer. Sie schnitt die Frau, die unter ihr kniete. In der Dunkelheit hatte ich das Blut zunächst nicht bemerkt. Die Frau schrieb der anderen mit dem Messer ein Wort in den Rücken, direkt über dem Po. Sie war bis HUR gekommen.
    Dann erst begriff ich. Das Mädchen auf dem Boden war Chloe.
    Sie setzte sich auf und sah uns an. Alle folgten

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