Das Ende der Welt
ermordet wird. Bix brachte mir einen Becher mit grünem Tee auf einem Tablett. Sehr rücksichtsvoll angesichts der Tatsache, dass er mich hinauswerfen wollte. Wir setzten uns ins Wohnzimmer und tranken Tee. Die Frau war gegangen.
»Tut mir leid«, sagte er, »aber ich habe eine Menge zu tun.«
»Danke für den Tee.«
»Gerne doch. Hast du heute schon was vor?«
»Eigentlich nicht«, sagte ich. »Ich muss heute Abend wieder in Oakland sein, zu einem Konzert.«
»Wer spielt?«, fragte Bix.
»Ein Typ, der möglicherweise jemanden ermordet hat«, sagte ich. »Einen Typen, den ich kannte. Wir waren mal zusammen. Den hat er ermordet.«
»Oh«, sagte Bix und zog die Augenbrauen zusammen, »das tut mir leid.«
»Ja«, sagte ich, »danke.«
Ich nippte an meinem Tee und ließ das Mitleid auf mich einwirken. Es wirkte.
»Wenn du willst«, sagte Bix, »kannst du noch ein paar Comics lesen. Nicht den ganzen Tag, wenn’s geht. Ein paar Stunden vielleicht.«
»Wirklich?«, fragte ich. »Bist du sicher?«
»Ja«, sagte Bix mitleidig, »wieso nicht?«
Wenn all das vorüber war, würde ich Bix eine Flasche Manipulationsresistenz 101 schenken. Aber zunächst beschränkte ich mich darauf, in seinem Apartment zu bleiben und die Comics zu lesen.
Ich las stundenlang. Die Cynthia-Silverton-Bände zu lesen glich einem Sturz ins schwarze Loch der Erinnerung. Der Geruch der Bars an der Avenue A. Sonnenuntergang um vier Uhr nachmittags und Nächte, die tagelang dauerten.
Um sechs lud ich Bix in sein Lieblingsrestaurant ein, ein veganer Laden für Soul Food in Oaklands Innenstadt. Wir unterhielten uns über seine Freundin.
»Wenn du sie wirklich gern hast«, sagte ich, »solltest du tun, was erforderlich ist, um sie zu halten.«
»Na ja, so einfach ist das nicht«, sagte er.
»Doch«, sagte ich. »Glaub mir.«
Bix runzelte die Stirn. Ich entschuldigte mich, schloss mich in der Damentoilette ein und zog eine lange Koksline vom Toilettendeckel.
Hätte es tatsächlich so einfach sein können? War es das jemals gewesen? Jetzt kam es mir so vor. Jetzt, da alle, die ich geliebt hatte, nicht mehr waren, schien es, als ob es ein Leichtes gewesen wäre, sie zu halten.
Jemand hämmerte gegen die Tür. Ich reagierte nicht.
»Claire? Hallo? Claire? Ist alles okay?«
Weil er noch nicht bereit war. Weil ihn etwas Besseres erwartete. Weil ich dachte: Wenn ich ihn gehen lasse, flattert er in ein besseres Nest, wo er von einem besseren Menschen als mir geliebt wird. Wo sich jemand, der besser ist als ich, seiner annimmt.
Wieder klopfte es, und wieder reagierte ich nicht, und dann kam die Polizei und brach die Tür auf. Ich bezahlte die Rechnung und wurde mit einer scharfen Ermahnung und einem kurzen Vortrag vor die Tür gesetzt. Bix war verschwunden.
Weil uns allen der Himmel auf dem Silbertablett serviert wurde und wir ihn ausschlugen und stattdessen nach der Hölle verlangten.
Ich parkte vor einer dreckigen, kleinen Bar irgendwo zwischen Oaklands Chinatown und Downtown. Ich kramte meine kleine Kokaintüte heraus und benutzte eine Kreditkarte (Discover, ausgestellt auf Juanita Velasquez, die Bonusmeilen bei Delta und Punkte bei Hanes sammelte und nicht vorbestraft war), um ein wenig Pulver herauszuschaufeln. Es stank furchtbar nach Nagellackentferner. Ich fragte mich, wie etwas nur so schlecht schmecken konnte. Wie Valium für Kühe. Hundeantibiotika. Hustenblocker für Affenbabys.
Scorpio Rising waren nicht besonders gut. Die Vorgruppe war grausam, was Scorpio Rising möglicherweise besser klingen ließ, als sie tatsächlich waren. Trotzdem. Aufgewärmter Punk. Vielleicht steckte eine gewisse Ironie dahinter, die mir entging. Vermutlich entging mir eine ganze Menge, ganz allgemein und besonders an diesem Abend.
Aber obwohl sie lausig waren, kamen sie gut an. Das Publikum war begeistert. Die Leute amüsierten sich. Die Musiker waren jung und schön und zogen im Laufe des Konzerts Lederjacken und T-Shirts aus. Der Sänger nahm einen Schluck Bier in den Mund und besprühte das Publikum. Der Drummer schmiss seine Schlagstöcke hinterher. Alle waren so jung, dass es mir wie ein Wunder vorkam, dass sie um diese Uhrzeit überhaupt unbegleitet unterwegs sein durften. Dabei hatte ich in dem Alter schon jahrelang allein gelebt.
Einer der Gitarristen und der Sänger sahen besser aus als der Rest der Band und waren sich der Tatsache durchaus bewusst. Ich konnte mir Lydia jedoch mit diesem Typ Mann nicht vorstellen. Zu gefällig, zu
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