Das Ende der Welt
plump. Der Schlagzeuger, auch nicht hässlich, drosch konzentriert auf sein Instrument ein, ohne je einmal zu lächeln. Nein, der auch nicht. Der Bassist lächelte pausenlos, er war noch jünger als die anderen und streckte dem Publikum ein paarmal die Zunge heraus. Er konnte nicht aufhören zu kichern. Nein.
Blieb nur der Rhythmusgitarrist. Er war knapp unter dreißig und spielte einen schwarzen Les-Paul-Nachbau. Er strahlte alles aus, was Frauen an Gitarristen mögen: Konzentration, Leidenschaft, Hingabe. Ich wusste nicht, ob die Frauen das mochten, weil es implizierte, der Mann könnte ihnen dieselbe Aufmerksamkeit schenken, oder weil es bedeutete, dass er sie so total ignorieren würde, dass sie das Schlechteste von sich denken konnten.
Der Rhythmusgitarrist sah ganz gut aus, er war sexy, aber kein Schönling. Er sah dreckig aus. Sein schwarzes, ungewaschenes Haar war zurückgegelt, fiel ihm aber immer wieder in die Stirn. Er trug ein Feinripp-Unterhemd und unzählige Tattoos, die er sich offenbar von der Straße oder im Knast geholt hatte. Seine Körperhaltung deutete auf Straße. Er stand immer mit dem Rücken zur Wand, seine Schulter- und Gesichtsmuskeln waren angespannt.
Gegen Ende stellte der Sänger die Band vor. Alle Musiker hatten den Nachnamen »Scorpio« angenommen. Niedlich.
»Und an der Rhythmusgitarre …«
Der Drummer schlug einen Trommelwirbel.
»… Rob Scorpio!«
In den Backstage-Bereich vorzudringen war kein Problem. Man ging einfach an der Bühne vorbei. Ich war mindestens hundert Jahre älter als der älteste Gast. Die Bandmitglieder tranken Bier, waren noch ganz aufgekratzt vom Auftritt, verglichen ihre Eindrücke, lachten aufgeregt.
Alle außer Rob Scorpio.
Ich sah den Notausgang am hinteren Ende des Raums. TÜR NICHT ÖFFNEN . ALARM .
Ich ging unbemerkt an der Band vorbei und stieß die Tür auf. Nichts passierte. Draußen stand Rob Scorpio und rauchte. Er lächelte nicht.
»Könnte ich auch eine haben?«, fragte ich. »Ich habe meine im Auto gelassen, weil man hier sowieso nicht rauchen darf. Aber nun stehen wir hier und dürfen, oder?«
Er nickte und hielt mir die Schachtel hin. Aus reinem Tabak, ohne Zusätze, die für den gesunden Lungenkrebs. Ich bediente mich, und er gab mir Feuer.
»Danke«, sagte ich und lehnte mich in gebührendem Abstand an die Hauswand. »Hey, bist du Rob?«
Traurig zog er eine Augenbraue hoch. Ganz offenbar litt er darunter, ein anderer sein zu wollen. Das machte ihm zu schaffen. Das und noch etwas, etwas Schweres, so schwer, dass er seinen Blick nicht heben konnte.
Der Gitarrist im Wohnzimmer mit dem Revolver.
Mein Herz fing zu rasen an. Das Adrenalin ernüchterte mich schlagartig.
»Ich glaube, du kennst eine Freundin von mir«, sagte ich. »Lydia. Lydia Nunez.«
Er schaute links an meinen Augen vorbei.
»Nein«, sagte er.
»Doch«, sagte ich, »ich glaube …«
»Nein«, wiederholte er. Er sah mich an und warf seine Flasche ungefähr in meine Richtung. Sie zerbrach nicht, sondern landete mit einem unbefriedigenden
Plonk
auf der Straße. Dann drehte er sich um und ging wieder hinein.
Ich hob die Flasche auf. Der Sänger kam heraus, um die Ausrüstung in den Van zu laden. Er sah mich fragend an.
»Da ist noch ein Schluck drin«, sagte ich und nahm die Flasche mit zu meinem Auto.
Im Auto leerte ich die Flasche, verstaute sie in meiner Handtasche und nahm noch ein wenig Koks, weil der Schlaf mich zu überwältigen drohte. Ich überprüfte mein Handy und wartete.
Ein oder zwei Stunden später kamen Rob und der Sänger aus dem Club. Mein Plan war, ihnen zu folgen und herauszufinden, wo Rob Scorpio wohnte. Mein Plan ging nicht auf. Von Anfang an hielt ich zu wenig Abstand, so dass sie auf mich aufmerksam wurden. Der Sänger, der am Steuer saß, trat auf die Bremse, und zwei Skorpione stiegen aus dem Van, einer davon mit Baseballschläger bewaffnet. Ich legte schnellstens den Rückwärtsgang ein und raste davon. Offenbar waren Baseballschläger in Oakland sehr beliebt.
Zu Hause holte ich Rob Scorpios Bierflasche vorsichtig aus meiner Handtasche und stellte sie auf meinen Schreibtisch. Den Cynthia-Silverton-Comic, den ich mir von Bix ausgeliehen hatte, legte ich daneben. Ich hatte fest vor, ihn zurückzugeben. Irgendwann. Ich nahm das Fingerabdruckset aus der Schublade.
Aus dem Aktenschrank suchte ich Lydias Fingerabdrücke heraus. Es war nicht so, dass ich die Fingerabdrücke jeder Person, der ich begegnete, sammelte; aber wenn ich
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