Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft

Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft

Titel: Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nouriel Roubini , Stephen Mihm
Vom Netzwerk:
Getreidepreise
     absichern und auf diese Weise einen ruhigen Schlaf erkaufen.
    |268| Doch in den letzten Jahren haben Derivate ganz andere Formen angenommen. Die bekannteste war die Kreditausfallversicherung
     (kurz CDS). Dieses Instrument war tatsächlich etwas vollkommen Neues und sollte den Käufer vor möglichen Zahlungsausfällen
     schützen. Konnte ein Schuldner seinen Kredit nicht bedienen, musste das Institut, das die »Versicherung« verkauft hatte, einspringen.
     Doch anders als bei einer Versicherungspolice musste der Käufer eines CDS den versicherten Vermögenswert gar nicht besitzen.
     Schlimmer noch, wer auf die Pleite eines bestimmten Unternehmens gewettet hatte, der hatte jedes Interesse daran, dass diese
     tatsächlich eintrat. Das ist so, als würde man eine Brandschutzversicherung auf das Haus des Nachbarn abschließen und es dann
     in Brand stecken.
    Der Handel mit Kreditausfallversicherungen erreichte in kürzester Zeit erstaunliche Dimensionen. Im Jahr 2008 befand sich
     der Nominalwert der Kreditausfallversicherungen mit 60 Billionen US-Dollar auf seinem Höchststand. Der kometenhafte Aufstieg
     des CDS-Markts hat viele Gründe. Einen großen Teil des Verdienstes – oder der Schuld – trägt Phil Gramm, der eifrige Befürworter
     der freien Marktwirtschaft, der von 1995 bis 2000 den Bankenausschuss des amerikanischen Senats leitete. In seinem letzten
     Amtsjahr gelang es ihm, in dem Gesetz zur Modernisierung des Warenterminhandels einen Passus unterzubringen, der Kreditausfallversicherungen
     und andere sogenannte Freiverkehrsderivate von der Regulierung durch die Aufsichtsbehörde für den Warenterminhandel ausnahm. 17
    Das Schlüsselwort ist hier »Freiverkehr« – englisch »over the counter«, also »über den Ladentisch«, oder kurz OTC. Das klingt
     wie das Gegenteil von »unter der Hand«, obwohl eine OTC-Transaktion damit besser beschrieben wäre. Bei OTC-Transaktionen wird
     ein Derivatekontrakt von zwei privaten Parteien unterzeichnet – so kommt ein sogenannter bilateraler Vertrag zustande, in
     den kein Dritter eingeweiht ist. Damit fehlt jegliche Transparenz. Niemand weiß genau, wo oder mit welchen Summen sich jemand |269| engagiert hat. Die Finanzunternehmen, die diese Instrumente entwickelten, hielten die Details nur allzu gern unter Verschluss.
     Immerhin waren ihre Tradingstrategien ja vertrauliche Unternehmensinterna, und die Gebühren waren astronomisch. Doch diese
     Geheimniskrämerei erwies sich in der Krise als zersetzend für das Anlegervertrauen.
    Nicht minder besorgniserregend war das »Kontrahentenrisiko«, also die Möglichkeit, dass die Ausgeber der »Versicherung« nicht
     in der Lage waren, ihre Zusagen einzuhalten, vor allem nicht während einer systemischen Finanzkrise. Genau das trat ein, als
     die jüngste Krise an Fahrt gewann. In der Annahme, dass sie ohnehin nie zahlen müssten, hatten große Finanzinstitute keine
     ausreichenden Rücklagen geschaffen. Vor allem im Fall AIG war dies eine Gefahr für das gesamte Finanzsystem. AIG hatte über
     Kreditausfallversicherungen toxische CDO-Tranchen im Wert von über einer halben Billion US-Dollar versichert. In der Krise
     war der Versicherungskonzern nicht in der Lage, die mit diesen Tranchen erlittenen Verluste auszugleichen. Weil der Konkurs
     von AIG andere Unternehmen mit in den Abgrund gerissen hätte, deren Anlagen dort versichert waren, schritt schließlich die
     Regierung ein und rettete das Unternehmen. Durch das Kontrahentenrisiko entstand ein Finanzsystem, das nicht nur zu groß,
     sondern auch zu verflochten für eine Pleite war.
    Derivate standen im Zusammenhang mit etlichen weiteren berüchtigten Episoden finanzwirtschaftlicher Probleme und Krisen. 18 So wurde zum Beispiel eine Portfolioversicherung mit dem Börsencrash von 1987 in Verbindung gebracht. Im Jahr 1994 trieben
     Verluste mit Derivaten den kalifornischen Bezirk Orange County an den Rand des Bankrotts. Derivate spielten eine wesentliche
     Rolle beim LTCM-Fiasko im Jahr 1998 und verschärften in den Jahren 2008 und 2009 den Boom-und-Bust-Zyklus der Ölpreise. Derivate
     können aber auch noch andere verheerende Auswirkungen haben. Sie verbergen Schulden, umgehen Steuern, vereiteln Umschuldungsversuche
     und dienen sogar der bewussten Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit von Banken, Unternehmen oder Staaten.
    |270| Angesichts eines solchen Vorstrafenregisters erscheint ein Verbot von Derivaten vernünftig. Doch das ist es nicht. Die

Weitere Kostenlose Bücher