Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
den Vereinigten Staaten in andere Teile der Welt
aus. Zunächst traf sie Länder, die zahlreiche Beziehungen mit den Vereinigten Staaten unterhielten, und breitete sich von
dort zu Finanzunternehmen in Ländern an der Peripherie der Weltwirtschaft aus. Es handelte sich um einen klassischen Fall
der Ansteckung, und das Bankensystem war der Überträger, über den die Subprimeprobleme weitergegeben wurden.
Doch die Banken waren nicht der einzige Teil des Finanzsystems, der die Krise in alle Welt verbreitete. Auch die Aktienmärkte
spielten eine wichtige, wenngleich etwas anders gelagerte Rolle. An dramatischen Wendepunkten der Krise brach der amerikanische
Aktienmarkt ein, was wiederum Kursstürze an den Börsen von London, Frankfurt, Paris, Shanghai, Tokio und kleineren Handelsplätzen
nach sich zog. Diese Ausbreitung hing unter anderem mit der starken gegenseitigen Abhängigkeit der internationalen Aktienmärkte
zusammen. In einer Welt, in der Händler in Echtzeit jede Bewegung einer Börse auf der anderen Seite des Erdballs verfolgen
können, springen Stimmungen leicht von einem Finanzplatz zum anderen über.
Doch die zunehmende Synchronisierung ist nicht nur eine Folge des klassischen Herdentriebs, der dafür sorgt, dass ein Schock
in einer Börse die Händler in einer anderen über die Klippe springen lässt. Als sich die Anzeichen der Krise mehrten, war
die Börse vielmehr ein Überträger, über den Investoren ihre zunehmende Risikoscheu weitergaben, als sie sich von riskanten
in sicherere Anlagen flüchteten.
Die Ansteckung verbreitete sich vermutlich schneller, umfassender und synchronisierter durch die Aktienmärkte als je zuvor.
Doch im Grunde war die Dynamik dieselbe wie vor mehr als 100 Jahren. Die Globalisierung der Finanzmärkte ist nichts Neues. |167| Schon im Jahr 1875 prägte Baron Karl Mayer von Rothschild angesichts der gleichzeitig einbrechenden Aktienmärkte das Bonmot
»Die ganze Welt ist eine Stadt«. 6
Schon in Rothschilds Tagen ging die Integration weit über die Aktienmärkte hinaus. Der Welthandel war bereits immens vernetzt
und anfällig für Finanzkrisen. Daran hat sich leider nichts geändert. Nachdem die Panik im Jahr 2008 die Finanzmärkte austrocknete,
verbreitete der Handel die Krise in alle Welt.
Krankheitsüberträger
Im 19. Jahrhundert war das Britische Empire die wirtschaftliche Supermacht, und wenn hier eine Finanzkrise ausbrach, erlitten
die Handelspartner Kollateralschäden, weil etwa die Nachfrage nach Rohstoffen und Waren zurückging. Im 20. Jahrhundert traten
die Vereinigten Staaten das britische Erbe an. Am Vorabend der Krise erwirtschafteten die Vereinigten Staaten rund ein Viertel
des Weltinlandsprodukts. Aufgrund eines Leistungsbilanzdefizits von 700 Milliarden US-Dollar war ihr realer Anteil an der
Weltwirtschaft sogar noch größer. Als das Land in eine schwere Rezession rutschte, waren die Auswirkungen in aller Welt zu
spüren, von Mexiko über Kanada, China, Japan, Südkorea, Singapur, Malaysia und Thailand bis zu den Philippinen. China war
besonders gefährdet, da ein großer Teil seines jüngsten Wachstums von Exporten in die Vereinigten Staaten abhing. Tausende
chinesische Fabriken schlossen ihre Tore, und die Arbeitnehmer kehrten von den Städten aufs Land zurück. Sie waren Opfer einer
Rezession auf der anderen Seite des Erdballs geworden.
Die Auswirkungen der Krise in China beschränkten sich aber nicht auf die direkten Handelsbeziehungen. Viele Länder in Asien
produzierten beispielsweise Computerchips und exportierten sie nach China, wo sie in Computer und Unterhaltungselektronik
eingebaut und in die Vereinigten Staaten verkauft wurden. Als die |168| Krise in den Vereinigten Staaten begann, traf sie nicht nur China, sondern sämtliche Länder der Lieferkette. Eine »Entkopplung«
war undenkbar: Die Volkswirtschaften Asiens hingen von einer Vielzahl direkter und indirekter Handelsbeziehungen zu den Vereinigten
Staaten ab.
Nach dem Konkurs von Lehman Brothers war die Entkopplung vollends unmöglich geworden. Zu einem der ersten Opfer gehörte die
ansonsten recht langweilige Welt der Handelskredite. In der Regel geben Banken sogenannte »Akkreditive« aus, um zu garantieren,
dass Güter, die sich beispielsweise auf dem Transport von China in die Vereinigten Staaten befinden, bei Ankunft bezahlt werden.
Nachdem der Kreditmarkt in Folge der Lehman-Pleite austrocknete, stellten die
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