Das Ende des großen Fressens - · Wie die Nahrungsmittelindustrie Sie zu übermäßigem Essen verleitet - · Was Sie dagegen tun können
weil es zu groß aussah und weil sie wusste, dass sie nach dem Essen Schuldgefühle haben würde. Deshalb gönnte sie sich lieber kleine Süßigkeiten wie mundgerechte Bonbons. Und wenn eine Kollegin Kekse mitbrachte? »Dann esse ich einen, gehe zu meinem
Schreibtisch und denke weiter daran. Danach hole ich mir noch einen. Und das geht den ganzen Nachmittag so weiter.«
Rosalita hat fast nie das Gefühl, richtig satt zu sein. Sie isst immer ihren Teller leer. Wenn es etwas zu essen gibt, denkt sie unablässig daran, aber sie hat Strategien entwickelt, die ihr gestatten, ihr Gewicht im Griff zu behalten.
Jacob hatte zwar ebenfalls eine Schwäche für Erdnussbutter-M&Ms, musste sie aber nicht unbedingt essen. »Ich bin satt«, meinte er mit Blick auf die offene Packung. »Ich hatte vor eineinhalb Stunden schon einen Keks. Jetzt interessieren sie mich nicht.« Er mag Süßigkeiten, aber wenn er satt ist, überkommt ihn kein Verlangen danach. »Sie sprechen mich dann einfach nicht an.«
Für Jacob ist Essen in erster Linie Brennstoff. »Ich will das eben erledigen«, meinte er, und er denkt selten viel darüber nach. Claudia und Maria konnten diese Haltung gar nicht nachvollziehen.
Nachdem ich die starken Reaktionen miterlebt hatte, die geschmacksoptimierte Nahrungsmittel auslösen können, konnte ich besser verstehen, warum der Einstellpunkt angesichts dieser Verlockungen nach oben wandert. Keiner aus der Gruppe hatte die Süßigkeiten auch nur angerührt, doch allein durch ihre Gegenwart hatten einige von uns sich nicht mehr so leicht unter Kontrolle.
Claudia, Maria und Rosalita passen nicht in die offiziellen Kategorien für Essstörungen. Sie gleichen nicht der Frau, die an keiner Bäckerei vorbeikam, ohne fünfzehn Stück Kuchen zu essen–einem der ersten dokumentierten Fälle von Fressattacken. Sie verschlingen nicht in kurzer Zeit riesige Nahrungsmengen, betreiben also kein Binge Eating . Sie übergeben sich auch nicht gezielt
nach dem Essen wie bei Bulimie oder missbrauchen Abführmittel zur inneren Reinigung. Und sie haben keine psychologischen Probleme wie Depressionen, die oft mit Essstörungen einhergehen.
Dennoch fühlen sie sich angesichts bestimmter Speisen machtlos. Das ist vielleicht das Grundsymptom dessen, was mitunter als emotionales oder zwanghaftes Essen bezeichnet wird, auch wenn es für diese Begriffe noch keine offizielle Definition gibt. Ihr Verhalten lässt sich am besten erklären als eine durch Belohnung erlernte Reaktion auf die mit Nahrung einhergehenden Sinnesreize.
Diese Reaktion beschränkt sich nicht auf Übergewichtige. Viele schlanke Menschen kennen diese Impulse ebenfalls, haben jedoch–wie Rosalita–Wege gefunden, sich zu beherrschen. Nahrungsmittel sind in der Lage, sich im menschlichen Gehirn mit aller Macht in den Vordergrund zu drängen. Wie können unbelebte Dinge wie M&Ms, »Charlies Cookies« oder Kuchenröllchen eine solche Macht über uns ausüben? Wieso dürfen sie unsere Aufmerksamkeit so umfassend in Anspruch nehmen? Wie kommt es, dass solche Lebensmittel so viele Menschen ins Trudeln bringen?
6 | Zucker, Fett und Salz als Appetitanreger
Belohnendes Essen schreit nach einer Wiederholung–wir wollen mehr davon. Ich stecke ein M&M in den Mund, es schmeckt gut, und ich hole mir noch eines. Der Zucker und das Fett in der Süßigkeit verstärken meinen Wunsch weiterzuessen.
Wenn ein Wissenschaftler herausfinden will, ob eine Substanz sich bei Tieren als Verstärker [Ref 34] eignet, stellt er zwei Fragen:
Sind sie bereit, dafür zu arbeiten?
Reagieren sie auf andere Reize, die ihrer Erfahrung nach mit der Substanz in Verbindung stehen?
Diesen Kriterien zufolge sind Zucker, Fett und Salz eindeutig Verstärker. Der schlüssige Beweis ist bestechend einfach. Französische Wissenschaftler gestatteten zunächst einer Gruppe Tieren, uneingeschränkt zu fressen, die andere Gruppe hingegen bekam nur eingeschränkt Futter. Danach wurde gemessen, wie schnell beide Gruppen zu einem besonderen Futter eilten, das handelsüblichen »Choc’n Crisps« entspricht, also Reisflocken mit Schokoladengeschmack und viel Fett und Zucker. [Ref 35]
Es dürfte kaum jemanden überraschen, dass die hungrigen Tiere schneller zum Futter rannten als diejenigen, die nach Belieben gefressen hatten. Dennoch war die Anziehungskraft der »Choc’n Crisps« unabhängig vom Hunger: Beide Gruppen hielten etwa gleich schnell auf den Leckerbissen zu.
Früher dachten wir, Futter wäre nur für
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