Das Ende des großen Fressens - · Wie die Nahrungsmittelindustrie Sie zu übermäßigem Essen verleitet - · Was Sie dagegen tun können
»beim Wunsch nach Gesundheit und Schlemmen zwei gegensätzliche Trends aufeinanderprallen«. Verbraucher, die scheinbar widersprüchliche Wünsche erfüllt haben möchten, stellen dem Bericht nach eine interessante Marktlücke dar. »Gesundes Schlemmen ist eine Meganische, die von der Getränke- und Nahrungsmittelindustrie bisher nicht ausreichend bedient wird.«
Die Konzerne reichern ihre Produkte zunehmend mit Zusatzstoffen an, welche die Verbraucher glauben machen sollen, dass diese Produkte gesund sind. Es geht nur darum, durch »zwingende« Behauptungen, die manchmal »wie eine Lockerungsübung für kreatives Schreiben aussehen«, die Aufmerksamkeit des Kunden zu fesseln, räumen Experten der Industrie ein.
Und offenbar funktioniert das auch. Wo sich anfangs kleine, spezialisierte Läden für gesunde Ernährung etablierten, läuft der Wettbewerb längst in großem Stil. So bietet Kellogg’s in den USA Müsliriegel mit der Fettsäure DHA an, die als »Gesundheitsriegel für ein blitzgescheites Gehirn« angepriesen werden–mit der kühnen Behauptung, sie seien wertvoll für den Erhalt eines gesunden
Gehirns. Selbst wenn DHA gesund sein mag, sind die übrigen Zutaten keine große Überraschung–vornehmlich Zucker und Fett.
Die meisten Fastfood-Restaurants stellen keine solchen Behauptungen in den Raum, aber diejenigen mit den hinreißendsten Zucker-auf-Fett-auf-Salz-Gerichten bieten häufig auch fettarme Varianten an. McDonald’s vermarktet offensiv seine Salate und Wraps, indem an den Drive-In-Schaltern und den Restauranttheken überall Bilder von den neuen Gerichten zu sehen sind.
Aber verkauft sich das auch? Ein Manager der Nahrungsmittelindustrie zuckt nur mit den Schultern. »Ist das nicht egal? Das ist eine reine Imagefrage.«
21 | Lila Kühe
Aus Sicht der Industrie geht es letztlich nur um den Unterschied zwischen braunen und lila Kühen, meint der Marketingexperte Seth Godin. [Ref 109] Braune Kühe sind Produkte, die zwar absolut angemessen, aber im Grunde langweilig sind. Eine lila Kuh hingegen fällt aus dem Rahmen. »Die lila Kuh fällt auf«, schreibt Godin. »Sie ist so bemerkenswert, dass man darüber spricht und darauf achtet.« Und von dieser allgemeinen Aufmerksamkeit träumen die großen Konzerne.
Lila Kühe lernte ich in New Orleans beim Kongress der Lebensmitteltechnologie kennen, wo Nancy Rodriguez von Food Marketing Support Services den Einfluss von Godins Buch beschreibt, der sich wiederum auf ein Beispiel aus dem 19. Jahrhundert beruft. Diese Perspektive hat sie im Hinterkopf, wenn sie im Supermarkt prüft, was in den Regalen steht. Rodriguez sagt, dass sie wissen will, wer dort seine lila Kühe platziert und wieso. Deshalb sucht sie nach Produkten, bei denen es »Klick« macht–die Erzeugnisse, die ihre Sinne ansprechen, Leidenschaft und Persönlichkeit ausstrahlen und Aufmerksamkeit erregen. [Ref 110]
Geschmack ist für Rodriguez das Leitbild der Innovation. Er soll »auf eindrückliche Weise Aroma liefern«. Lila Kuh-Produkte jedoch geben weitere mächtige Hinweisreize. »Damit ein Produkt das Siegertreppchen erreicht, kommt es auch auf akustische Reize an–das Knuspern bei Frittiertem, das saftige Sprudeln von Zitronenlimonade«, meint sie. »Das Aroma prägt sich dem Gedächtnis ein und hat emotional einen enormen Einfluss, weil es den Speichelfluss und das Verlangen steuert.… [Der] Sehsinn
nimmt Form, Konsistenz und Farbe wahr, die den Kunden in ihren Bann schlagen.«
Solche Kombinationen ergeben kühne Produkte, an die sich der Kunde erinnert, besonders wenn ihre »Verpackungen schreien: ›Nimm mich! Sieh mich an!‹«, und in einer Sprache vermarktet werden, welche die Sinne anspricht. Ihrem Publikum aus der Lebensmittelindustrie erklärt Rodriguez: »Die Innovationskraft wahrhaft bemerkenswerter Produkte ist der einzige Weg zu dauerhaftem wirtschaftlichen Erfolg.«
Das Konzept der Lila-Kuh-Produkte ließ mich über ein Grundprinzip der Lebensmittelindustrie nachdenken–das Hinzufügen zusätzlicher Ebenen sensorischer Stimulation. Produktentwickler und Lebensmitteltechnologen kombinieren Zutaten und fügen komplexe Geschmacksstoffe, vielfältige Konsistenzen, appetitliche Farben und viele andere Neuerungen hinzu, um ihren Produkten den zündenden Kick zu verpassen. Die Experten von McCormick drücken dies in der Geschmacksvorhersage der Firma so aus: »Egal, wo die Leute essen–zu Hause oder auswärts –, eines bleibt. Sie wollen Geschmack: gewagt, tröstlich,
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