Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
Alternative!
Folco, tust du mir einen Gefallen? Ich bin schrecklich durstig, gibst du mir ein Glas von dem guten Birnensaft? Du kannst ihn mir hier hineingießen. Aber schüttle die Flasche vorher, sonst bleibt unten das ganze …
FOLCO: Nein, der ist künstlich genug, dass sich da nichts absetzt.
TIZIANO: Und pass auf, dass du nichts verschüttest, hier muss ich schließlich schlafen. Gut so, danke. Vielleicht stellst du den Saft auf den Boden, sonst …
FOLCO: Weißt du, wo ich ihn hintue? In meinen Bauch! Ich trinke auch ein bisschen davon.
Aber noch einmal zurück zu Gandhi. Wir haben noch nicht vom Prinzip der Gewaltlosigkeit gesprochen.
TIZIANO: Ich finde es merkwürdig, wie oft die Anhänger der Gewaltlosigkeit lächerlich gemacht werden. Gewaltlosigkeit wird als etwas Kindisches, Unrealistisches dargestellt, als eine Utopie, an die niemand mehr glaubt. Außer den jungen Leuten.
Die Oberschlauen, die Besserwisser, die Politiker behaupten einfach, Gewaltlosigkeit funktioniere nicht. „Und was tust du, wenn einer wie Hitler kommt?“Wenn du Gandhi liest, siehst du, dass er um eine Antwort keineswegs verlegen war. Er wollte Hitler sogar treffen. Überraschenderweise ist herausgekommen, dass er mehrmals an ihn geschrieben hat, nur dass die Engländer seine Briefe abfingen, weil sie diese Begegnung verhindern wollten. Merkwürdig, aber wahr. Gandhi sagte, wer gehorcht, ist ein Sklave. Sobald einer nicht mehr gehorcht, ist er kein Sklave mehr. Er sagte, alle Diktaturen fallen, wenn die Leute nicht mehr an sie glauben und nicht mehr gehorchen. Kein Regime lässt sich aufrechterhalten, wenn ein klarer Wille besteht, auf Gewalt zu verzichten und sich jeder Gewalt mit Gewaltlosigkeit zu widersetzen, und zwar nicht indem man die Konfrontation meidet, sondern indem man sie sucht.
FOLCO: Gandhis Gewaltlosigkeit ist etwas extrem Aktives. Sie besteht nicht etwa darin, nichts zu tun, nicht Krieg zu führen etwa, sondern etwas anderes zu tun. Sie ist ein aktives Fasten, ein aktives Sich-nicht-beteiligen, ein aktiver Verzicht auf das, was die anderen dir anbieten, um dich zu schwächen. Denn du kannst das System der anderen nicht bekämpfen, wenn du gleichzeitig ihre Dinge kaufst.
TIZIANO: Genau. Noch immer wird Gewaltlosigkeit oft missverstanden. Als Gewaltlose gelten die, die sich verprügeln lassen. Dabei gehört wesentlich mehr dazu, gewaltlos zu sein, als sich zum Fallschirmspringer ausbilden zu lassen.
Habe ich dir schon mal die Geschichte von Halal Khan erzählt? Der hatte ein Heer von hunderttausend Kriegern aufgestellt, die mit nichts als Knüppeln bewaffnet waren.
FOLCO: Gewaltlose Krieger?
TIZIANO: Vollkommen gewaltlos. Wenn die Gegner kamen, legten sie ihre Knüppel auf den Boden und ließen sich verprügeln. Was für ein moralisches Vorbild! Aber so etwas wird den Kindern in der Schule nicht beigebracht. Im Geschichtsunterricht geht es immer nur um Helden und Eroberer. Alexander der Große - groß, weil er Tausende von Menschen umgebracht hat? Er mag damals ja bewundert worden sein, weil er schon als junger Mann die halbe Welt erobert hatte, aber was heißt denn erobern? Plündern und töten!
Doch es hat immer auch die anderen gegeben, Leute wie den heiligen Franz von Assisi. Waren die etwa verrückt, nur weil sie nicht taten, was man zu ihrer Zeit von ihnen erwartete? Nein, sie waren bloß anders. Leute, die mit ihrem Leben bewiesen, dass man auch anders sein kann.
Nur gibt es das heute kaum noch. Das ist das verdammte Problem mit der Freiheit. Nie zuvor sind wir so unfrei gewesen wie heute, obwohl unsere Freiheit scheinbar grenzenlos ist. Wir können kaufen, was wir wollen, ins Bett gehen, mit wem wir wollen, haben die Auswahl zwischen Dutzenden von Automodellen und Zahnpastasorten, zwischen Handys mit oder ohne Kamera, und so weiter und so fort. Und doch gibt es keine Freiheit mehr, jedenfalls nicht die Freiheit zu sein, wer man ist. Denn alles ist bereits vorgesehen, alles ist geregelt, und auszuscheren ist nicht leicht und führt zu Konflikten. Überleg mal, wie viele Leute aus dem System hinaus und an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, weil sie nicht ins vorgefertigte Modell passen! Warum tun sie nicht einfach etwas anderes? Doch nein, das geht nicht. Es gibt nur diesen allgegenwärtigen Sog des Marktes.
Der Mensch von heute ist der Wirtschaft hörig. Sein ganzes Leben ist von ihr beherrscht. Das wird meiner Meinung nach das große Thema der nächsten Zeit sein: die Rebellion dagegen,
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