Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
Vom Netzwerk:
eine neue Geschichte erfinden!“Der Wahnsinn dieser unermesslichen Zerstörungskraft müsste doch allen zu denken geben. Hier geht es ja nicht mehr darum, dass jemand ein längeres Schwert oder ein Schießgewehr erfunden hat.
    FOLCO: Kann es gelingen, die Geschichte neu zu erfinden? Wie macht man das, neu denken?
    Wir schweigen lange. Papas Atem geht schwer.
    TIZIANO: Da gibt es noch eine andere Frage, über die es sich lohnen würde nachzudenken. Die hat der Alte mal gestellt. „Verdient es diese Gesellschaft überhaupt, gerettet zu werden?“
    FOLCO: Ach, so etwas hat der Alte sich gefragt? Interessant.
    TIZIANO: Darüber müsste man nachdenken. Über die Frage, was diese Gesellschaft eigentlich ist.
    FOLCO: Welche?
    TIZIANO: Unsere. Die moderne.
    FOLCO: Was würdest du denn sagen?
    TIZIANO: Unsere Gesellschaft hat den Verstand verloren. Alles kreist nur noch um die Wirtschaft. Sie ist zum einzigen Kriterium geworden, andere Werte gibt es nicht mehr. Doch warum müssen wir immer mehr produzieren, auch immer mehr Müll? Die Art des Menschen, in der Welt zu stehen, hat etwas Perverses. Denn er sieht die Welt nicht mehr. Er hat jeden Kontakt zum Kosmos verloren. Er sieht nur noch sich selbst und sein unmittelbares Umfeld. Die Verbindung zum Großen und Ganzen fehlt.
    Interessant, diese Überlegung. Verdient es die Gesellschaft, gerettet zu werden? Das ist die Schlüsselfrage.
    FOLCO: Und was ist deine Antwort?
    TIZIANO: Zu sagen, eine Rettung sei unmöglich, wage ich nicht. Mir fällt die Bhagawadgita ein: Tu, was du tun musst. Ob die Welt dann überlebt oder nicht, liegt nicht in deiner Hand.
    FOLCO: Weißt du, was ich dich gern fragen würde? Ich bin mir bloß nicht sicher, ob du darauf antworten möchtest …
    TIZIANO: Nur zu, frag ruhig.
    FOLCO: Es scheint, als hättest du eine gewisse Scheu davor zu sagen, wie du die Zukunft siehst. Stimmt das?
    TIZIANO: Ja, das stimmt.
    Er schweigt eine Weile.
    Ich sehe ein großes Chaos. Und eine unglaubliche Verrohung der Menschheit. An all den Geschichten, die ich dir erzählt habe, wirst du gemerkt haben, wie sehr mir die Menschen am Herzen liegen. Ich mag die Afghanen mit ihrer mittelalterlichen Nase, die trotz ihrer Lumpen nie ihren Stolz verlieren. Ich mag die Asiaten mit ihrer Härte und Ausdauer. Ich mag den Menschen an sich, und der Gedanke, er könnte vom Erdboden verschwinden, macht mich wirklich traurig. Nur sehe ich einen Prozess der Verrohung, der wohl kaum mehr rückgängig zu machen ist. FOLCO: Also weiter Krieg?
    TIZIANO: Ja, leider. Nicht unbedingt nur Krieg - Gewalt aller Art.
    FOLCO: Du meintest eben, du magst die Afghanen und die Asiaten, aber von den modernen westlichen Menschen, den Europäern oder Amerikanern hast du nicht gesprochen.
    TIZIANO: Die mag ich immer weniger. Ich mag den einfachen Menschen, der noch Kontakt zur Natur hat. Der ist ein echter Mensch. Die Leute in unseren Städten aber, die in klimatisierten Kästen zur Welt kommen und in klimatisierten Kästen arbeiten, die immer nur von einem Kasten in den anderen wechseln und täglich vom Gift des Fernsehens berieselt werden - sind das noch Menschen? Manche haben noch nie eine Ameise gesehen! Was ist von denen schon groß zu erwarten?
    Dieser moderne Mensch ist eine Null, ein x-beliebiger Idiot, dem du sagen musst, er solle sich anständig betragen und nicht töten. Drückst du ihm aber eines Tages ein Gewehr in die Hand und sagst: „Jetzt bring mal hunderttausend um!“, dann tut er es und freut sich sogar noch darüber. So jemand ist doch kein Mensch!
    FOLCO: Was meinst du, woran fehlt es ihm?
    TIZIANO: Er hat seine Unabhängigkeit verloren. Er denkt nicht mehr nach.
    FOLCO: Moment mal … Doch, stimmt eigentlich, wenn du hier durch die Städte gehst, kommen dir die Leute irgendwie … leicht vor, als hätten sie keine Substanz.
    TIZIANO: Das sind doch keine Menschen, das sind Roboter.
    FOLCO: Hm.
    TIZIANO: Alle tragen sie die gleiche Kleidung, alle sagen sie dieselben Sachen. Oder das Gegenteil davon, was auch wieder dasselbe ist.
    Ich muss lachen.
    Der eine ist Christdemokrat, der andere Sozialdemokrat. Der eine ist für etwas mehr Gewalt, der andere für etwas weniger. Und abends gehen alle gemeinsam in die Kneipe. Das sind doch keine Menschen!
    FOLCO: Aber woran liegt das?
    TIZIANO: Sie fragen sich nicht mehr, wer sie sind! Sie denken, was sie ausmacht, ist der Anzug von Armani oder das neue Motorrad.
    FOLCO: Sie fragen sich nicht, wer sie sind, wo sie sind, warum sie sind?
    TIZIANO:

Weitere Kostenlose Bücher