Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
erfüllt habe.
Ich habe viel Glück gehabt, das muss ich wirklich zugeben, überdurchschnittlich viel Glück. Es ist mir gelungen, meine Rolle gut zu spielen. Ich kann tatsächlich sagen: „Mein Leben war erfolgreich“, in der Familie, in der Ehe. Siebenundvierzig Jahre mit deiner Mutter! Keiner von uns beiden hat sich davongemacht, mit einer brasilianischen Tänzerin oder einem malaysischen Piraten, und an Versuchungen hat es sicher nicht gefehlt, das ist ja gerade das Schöne! In meinem Beruf habe ich alles erreicht, was möglich war. Ich habe für eine der größten Zeitschriften der Welt gearbeitet und Bücher geschrieben, die mehrere tausend Leser erreicht haben. Deshalb konnte ich mit dieser Welt abschließen. Ließe ich eine kaputte Familie zurück, hätte ich Bücher geschrieben, die niemand gelesen hat, und in meiner Arbeit trotz aller Mühe keinerlei Anerkennung bekommen, empfände ich jetzt vielleicht ein gewisses Bedauern. So aber empfinde ich keines.
Auf all das habe ich das dritte Stadium aufgebaut. Und dazu gleichzeitig zwei große Geschenke bekommen: meinen Krebs und die Pensionierung. Da konnte ich die Welt loslassen. Mit leichtem Herzen habe ich den Journalismus, die Freunde, die Gesellschaft hinter mir gelassen und bin in den Ashram gegangen, dessen Lehrer, der Swami, mich nicht nur Sanskrit, sondern auch den Sinn der indischen, wenn du so willst religiösen Philosophie gelehrt hat. In Noch eine Runde auf dem Karussell habe ich das angesprochen, aber wir können gern noch ein wenig darüber reden. Weißt du, wenn du beginnst, das zweite oder das neunte Kapitel der Bhagawadgita zu lesen, wenn dir klar wird, dass du im Grunde nichts brauchst … Ich aß den undefinierbaren Eintopf aus den großen Kesseln und sang dabei aus dem fünfzehnten Kapitel: „Ich bin das Feuer, das im Magen dir die Speise verbrennt …“Ah, das war nicht mehr ich!
Wie habe ich das genossen! Ich habe eifrig gelernt und tiefe Verehrung für den Lehrer empfunden, für alles, was ich ihm verdankte. Und doch war es mir unmöglich, einer von seinen Anhängern zu werden, die ihm morgens die Füße berührten, um sich mit Energie aufzuladen. Es ging einfach nicht. Trotz allem blieb ich tief im Herzen ein Florentiner, ein Skeptiker. Irgendwie hatte ich das Gefühl, mitten in der Furt zu stehen. Zurück konnte ich nicht mehr, schließlich hatte ich den Eindruck, einen deutlichen Schritt voran getan zu haben. Doch ich konnte auch nicht einfach ans andere Ufer waten und sagen: „Da bin ich, nun bin ich einer von euch!“
Die Begegnung mit dem Swami - der übrigens in seinen orangefarbenen Kleidern auch eine äußerst malerische Erscheinung war - hat mich tief bewegt. Mein Leben lang war ich in Eile gewesen, als Journalist hatte ich schließlich meine Abgabetermine gehabt. Einmal verbrachte ich zwei Stunden damit, in dem großen Saal zu sitzen, in dem der Swami die Leute empfing, und ihn zu beobachten. All diese indischen Frauen, die Bankangestellten und -direktoren, die kamen, seine Füße berührten und fragten, was sie mit ihrem Sohn anfangen sollten, der in der Schule nicht mitkam, oder ihm ihre Angst vor dem Tod anvertrauten. „Swami-ji, Swami-ji, wie schafft man es, zu sterben? Was erwartet mich auf der anderen Seite?“Und er, mit seiner unendlichen Geduld, hatte für jeden ein Lächeln, ein Wort, und am Ende eine Weinbeere. In allem, was er tat, lag eine Leichtigkeit, die mir unglaublich viel gegeben hat.
Als die Reihe schließlich an mir war, fragte ich ihn: „Entschuldigen Sie, Swami, wie machen Sie es bloß, diesen Leuten so viel von Ihrer Zeit zu widmen?“
Er musterte mich vielsagend und ließ sein wunderbares Lachen ertönen. „Ich brauche keine Zeit mehr. Meine Zeit ist Zeit für die anderen. Ich habe bereits erreicht, was ich erreichen wollte, moksha. Zeit hat für mich keinen Wert mehr.“
Dieser Satz machte tiefen Eindruck auf mich. Auch er wusste etwas, wie der Mann mit der Kette aus leuchtenden orangefarbenen Blüten, den wir beim Sai Baba Mandhir gesehen hatten.
Drei Monate bin ich in dem Ashram geblieben, ohne je über meine Vergangenheit zu sprechen, ohne je zu erzählen, wer ich gewesen war oder was ich gemacht hatte. Denn deine Identität - ob sie nun physischer oder psychischer Natur ist oder auch nur aus deinem Namen besteht - schränkt dich ein, nimmt dir die Möglichkeit, etwas anderes zu sein. Selbst als Pensionär bleibst du der Postdirektor, der du einmal warst. Ist das nicht komisch? Wenn
Weitere Kostenlose Bücher