Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
fesselnde Erfahrung und bekräftigte mich in der Überzeugung, dass Gerechtigkeit möglich war, dass es möglich war, die Gesellschaft zu verändern. FOLCO: Bist du deshalb immer wieder hingefahren? TIZIANO: Zunächst einmal wollte ich den Krieg sehen. Das hatte ich ja noch nie. Ich hatte zwar den Zweiten Weltkrieg miterlebt, aber als Kind, und das war wie ein Spiel gewesen. Wir liefen auf die Felder hinterm Haus und zählten die amerikanischen Bomben, die zwei, drei Kilometer entfernt auf Porta al Prato abgeworfen wurden, den Eisenbahnknotenpunkt Mittelitaliens. Doch Krieg war das nicht für uns. Und die Hinrichtungen, die es damals auch gab, habe ich nicht miterlebt, anders als in Kambodscha, wo ich mit ansehen musste, wie Regierungstruppen einen Gefangenen niedermetzelten.
FOLCO: Wie hat dieser Krieg für dich begonnen? Was ist dir als Erstes passiert?
TIZIANO: Meine Güte, das war eine schreckliche Erfahrung … schrecklich! Ich war damals noch ein richtiger kleiner Prinz … Am Tag meiner Ankunft in Saigon gab es ganz in der Nähe, auf der Straße Nummer Dreizehn, eine Offensive. Alle fuhren hin. Morgens frühstückte man im Hotel Continental und dann stieg man ins Taxi und fuhr an die Front. An meinem Tisch saß ein junger englischer Journalist, und ich fragte ihn, ob wir uns ein Taxi teilen wollten. Dann fuhren wir Richtung Chon Than. Kaum waren wir aus dem Auto gestiegen, wurde schon auf uns geschossen. Die erste Kugel sauste mir, was weiß ich, fünf Zentimeter am Ohr vorbei - psss! War das ein Schock! Und was war meine Reaktion? Der instinktive Wunsch, die B-52 der Amerikaner würden kommen und alle, die auf mich schossen, töten! Doch sofort wurde mir auch klar, dass ich mit einer solchen Haltung nie etwas begreifen würde, dass dieses Wir-Gefühl mich von der anderen Seite trennte. Wer da aus dem Palmendickicht auf mich schoss - ich war kopfüber in einen Graben gesprungen, um mich in Deckung zu bringen - war automatisch zu meinem „Feind“geworden. Aber waren das denn wirklich meine Feinde? Nein. Hätte ich in dieser Haltung verharrt, hätte ich nichts begriffen.
Meine Güte, hatte ich Schiss an diesem ersten Tag! Doch Mut ist, wenn man seine Angst überwindet, du weißt, dass ich das so sehe. Ich ging immer schweren Herzens an die Front, ich musste mich regelrecht dazu zwingen, denn ich hatte schreckliche Angst. Aber ich wollte doch sehen, was passierte! Manchmal war ich bei der Abfahrt an die Front geradezu besessen von der Vorstellung, im Gewehr irgendeines Unbekannten, der gerade durch die Reisfelder stapfte, stecke eine Kugel, die für mich bestimmt sei. Seltsam, nicht, dieser Alptraum, irgendwo warte eine Kugel auf dich?
FOLCO: Wie man sieht, hast du dich geirrt! Doch nachdem du vorher immer nur über Bücher gebeugt gewesen warst, hast du da zum ersten Mal Gewalt und Tote gesehen.
TIZIANO: Stell dir vor, manchmal zählten wir die Leichen am Straßenrand. Und hatten dabei ein seltsames Gefühl von Distanz. Die einzigen Vietcong, die ich sah, waren tot - stinkende, aufgedunsene Leichen in den Straßengräben.
FOLCO: Was hat dieser Krieg für dich bedeutet?
TIZIANO: Mein Werdegang hatte mich dazu gebracht, mich immer spontan gegen jede Art von Unrecht zu stellen. Und auf welcher Seite das Unrecht in diesem Krieg war, sprang einem geradezu in die Augen! So fuhrst du etwa durch die wunderschöne vietnamesische Landschaft mit den tiefgrünen Reisfeldern, sahst die schwarz gekleideten Bauern mit ihren Strohhüten auf dem Kopf, die schlichten Häuser aus Holz und Stroh, die auf dem gestampften Lehmboden standen - und auf einmal sahst du den Krieg kommen, die Panzer.
Was mich so umwarf, war der Widerspruch zwischen der extrem einfachen, ja archaischen vietnamesischen Gesellschaft und der Modernität, die der Krieg ihr aufzwang. Die Waffen, die Panzer, die Bomben passten da überhaupt nicht hin! Sie hatten dort einfach nichts verloren!
FOLCO: Und darüber hast du geschrieben?
TIZIANO: Zweifellos habe ich über diesen Krieg mit einer großen Sympathie für die Vietcong berichtet. Wie konnte jemand, der das Herz am rechten Fleck hatte, denn auch Sympathie für die Amerikaner empfinden? Was hatten die da zu suchen?! Bei diesem Volk von armen Schluckern, die, in Lumpen gehüllt und mit einem Strohhut auf dem Kopf, mit ihren Büchsen gegen die höllische amerikanische Kriegsmaschinerie anschossen! Du konntest gar nicht anders, Folco, als die Eindringlinge zu hassen. Wer die B-52 einmal bei so einem
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