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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
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Wie du siehst, war es nicht nötig. Es ging auch so.
    FOLCO: Wie machen die Leute das bloß, selbst unter Folter nichts zu sagen? Ich habe mir gestern mal ein bisschen deine Fotos angesehen. Den Arzt des Dalai Lama haben die Chinesen ja furchtbar zugerichtet!
    TIZIANO: Der ist ganz schief und krumm geblieben.
    FOLCO: Wie hat er das bloß durchgehalten?
    TIZIANO: Der Glaube …
    FOLCO: Fängst du an zu schreien, ist es aus. Du musst dich völlig ausklinken.
    TIZIANO: Da geht es, glaube ich, noch um etwas anderes. Das ist weniger eine Frage der Psychologie als der inneren Entschlossenheit. Verrat ist eine Riesensache. Das will man nicht. Stell dir vor, in Florenz haben die Nazis den Partisanen die Fingernägel ausgerissen, um sie zum Reden zu bringen. Aber sie blieben stumm. Denk doch nur, die Nägel auszureißen! Der Ort, an dem das geschah, wurde „Villa Triste“genannt.
    FOLCO: Wahnsinn. Da muss man bereit sein zu sterben. Sterben ist vermutlich sogar besser.
    TIZIANO: Hmm. Deswegen lassen sie es ja auch nicht so weit kommen!
    FOLCO: Die Guerillas in Sri Lanka, die tamilischen Befreiungskrieger, haben das Problem elegant gelöst. Sie tragen immer eine kleine Kapsel mit Blausäure um den Hals, die sie aufbeißen, wenn sie den Regierungssoldaten in die Hände fallen.
    TIZIANO: Kannst du dich noch an die schöne chinesische Geschichte von dem Mann erinnern, der zum Tod der tausend Schnitte verurteilt worden war? Doch die Familie bestach den Henker, und so schlug er ihn mit einem Hieb tot und fügte ihm die Schnitte erst hinterher zu!
    FOLCO: Tatsächlich?
    Papa atmet schwer.
    TIZIANO: Ich habe kaum noch Raum zum Atmen, so riesig ist mein Bauch.
    FOLCO: Du musst diese Erfahrungen aber auch wirklich alle gleichzeitig machen. An Schmerzen warst du nie gewöhnt.
    TIZIANO: Ich bin mehrmals operiert worden, auch als Kind. Ich bin oft aufgeschnitten worden.
    ANGELA: Dir, Folco, würde das Angst machen, nicht?
    FOLCO: Und wie!
    TIZIANO: Wann kommt eigentlich das Baby deiner Schwester?
    FOLCO: Es kann jeden Moment so weit sein.
    TIZIANO: Wie schön.
    FOLCO: Wie soll es denn heißen?
    ANGELA: Nicolò.
    FOLCO: Schön. Ein Florentiner Name.
    ANGELA: Hm, Macchiavelli.
    TIZIANO: Ich muss mal ein Wörtchen mit meinem Körper reden. Eine Weile muss ich noch durchhalten.
    ANGELA: Ja! Du wirst ja wohl nicht am Tag nach der Geburt deines neuen Enkels gehen wollen? Nein, nein, das wäre keine gute Idee.
    TIZIANO: Ich könnte am Tag vorher gehen und in ihm wiedergeboren werden!
    Wir lachen.
    FOLCO: Ich fürchte, das funktioniert nur bei der Zeugung. Bei der Geburt ist es zu spät.
    TIZIANO: Schluss jetzt. Wenn es euch nichts ausmacht, setze ich mich ein bisschen nach drüben.
    ANGELA: Und Folco legt dir La Reine Margot ein.
    TIZIANO: Ich bin erschöpft heute, entschuldigt.
    ANGELA: Möchtest du einen Tee, Tiziano?
    TIZIANO: Später.
    Er überlegt.
    Nicht zu fassen … Er war einer der ganz großen Journalisten, hat eine Zeitung geleitet und sie von Grund auf geändert. Und dann bleibt er in Erinnerung als der mit den Urinflecken...
    Er lacht.
    Aber so ist die Welt, nicht wahr?

PRAKTIKUM

    Tagelang ist es grau und kalt gewesen und Papa hat keine Lust oder Kraft für ein neues Gespräch gehabt. Heute Morgen aber ist die Sonne durchgekommen, und er ist zu Fuß nach Fosso gegangen, um seine Freunde Mario und Brunalba, die Schäfer, zu besuchen. Bei seiner Rückkehr hatte er ein Kätzchen mit einem weichen, braunweiß gestreiften Fell im Arm.
    TIZIANO: Wo ist eigentlich das Kätzchen? Ich glaube, es liegt da schön warm unter meinem indischen Schultertuch und schläft. Ja, sieh mal, Folco, wie süß, da hat es sich neben meinen Füßen gemütlich gemacht!
    FOLCO: So klein, wie es ist, muss es bestimmt viel schlafen.
    Papa zündet ein Räucherstäbchen an, bevor er anfängt.
    TIZIANO: In Amerika waren wir bis September 1969. Dann haben wir - du warst ein winziges Baby - in New York ein Schiff bestiegen, die Leonardo da Vinci, und sind über den Atlantik zurück nach Italien gefahren.
    Bei meiner Abfahrt aus Amerika war ich fest entschlossen, einen Weg zu finden, um als Journalist nach China zu gehen. Doch ohne ein anderthalbjähriges Praktikum bei einer Zeitung kannst du in Italien nicht Journalist werden, selbst wenn du fünf Doktortitel hast und 40 Sprachen sprichst. Wieder einmal hatte ich unglaubliches Glück: Ich bekam eine Stelle in Mailand beim Giorno , damals die unabhängigste Zeitung von ganz Italien. Dreist, wie ich war, sprach ich

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