Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
des Journalisten zu deiner Zeit ernst genommen?
TIZIANO: Es waren die heroischen Zeiten des Journalismus, Folco … bevor er beim Versuch, das Fernsehen zu imitieren, zum Medienspektakel geworden und zugrunde gegangen ist.
Damals wurde noch richtig geschrieben! Doch dann hat das Fernsehen die Konzentrationsfähigkeit der Menschen dermaßen reduziert, dass auch die Zeitungen nur noch Behälter sind, in denen sich zwar alles Mögliche findet, aber nichts, was mehr als drei Minuten Aufmerksamkeit erfordern würde - die Länge eines Werbespots -, sodass sich schließlich alles zu einem bunten Allerlei zusammenfügt.
Heute werden keine langen Artikel mehr geschrieben. Was zählt, ist Aufsehen zu erregen. Bloß nicht in die Tiefe gehen! Lieber etwas inszenieren: Ein Aufmacher mit Foto, eine spektakuläre Geschichte, Ende der Vorstellung. Natürlich wird der journalistische Auftrag dabei enorm abgewertet. Was ich, was wir alle damals taten, wäre heute, glaube ich, gar nicht mehr möglich: Es gibt keinen Platz mehr dafür.
Stell dir vor, aus Vietnam schrieb ich Artikel für den Espresso, die eine ganze großformatige Doppelseite füllten, über meine Eindrücke, über alles, was ich dort erlebte. Von Anfang an hatte ich gelernt, dass man mit einer kleinen Episode eine große Geschichte erzählen kann, denn Geschichten, die auf eigener Erfahrung beruhen, auf einer kleinen Episode aus dem Leben eines Menschen oder eines Dorfes, sagen viel mehr aus, als wenn du schreibst: „Gestern gab es sechstausend Tote…“Sechstausend Tote kann sich kein Mensch vorstellen, aber ein Toter mit seiner Familie, mit seinen Kindern, das erschüttert den Leser!
Ich wollte den Leuten erzählen, was sie nicht sehen, nicht hören, nicht riechen konnten, verstehst du? Denk doch ans Fernsehen, wie wenig es uns beeindruckt, wenn wir da Tote sehen. Sogar das Rot des Bluts wirkt irgendwie unecht. Erzählst du dagegen mit emotionaler Anteilnahme, was du selbst erlebt hast, überträgst du deine Emotionen auf den Leser. Das habe ich schon früh entdeckt. Und auch von den Großen des Metiers gelernt.
Es waren die Jahre, in denen ich meine Vorbilder fand: Bernardo Valli zum Beispiel oder Jean-Claude Pomonti, der in Le Monde über Vietnam schrieb und das Land kannte wie kein anderer. Denk nur, Jean-Claude war als Wehrdienstverweigerer nach Vietnam gegangen, sprach perfekt Vietnamesisch, hatte eine seiner vietnamesischen Schülerinnen geheiratet und wohnte bei ihrer Familie. Er lebte in dem Land, statt wie ein Fremder mit dem Fallschirm für ein oder zwei Wochen darauf abgesprungen zu sein. Er ist ein bisschen jünger als ich, sympathisch, bescheiden, hatte immer Schlappen an den Füßen. Kein einziges Mal habe ich ihn mit Schuhen gesehen!
Dann gab es Leute wie Martin Woollacott vom Guardian , den ich für seine kühle Distanziertheit bewunderte, für seine Art, die Dinge historisch einzuordnen und sich nie gehen zu lassen, nach bester englischer Manier; und einige große amerikanische Journalisten wie David Halberstam und die anderen, die gegen den Krieg Stellung bezogen hatten, darunter auch meinen sympathischen Kollegen und Antagonisten Sydney Schanberg von der New York Times. Die Artikel all dieser Männer hatte ich in der Bibliothek der Columbia University verschlungen - und in Vietnam standen sie auf einmal vor mir!
Von jedem gab es etwas zu lernen. Natürlich habe ich im Laufe der Zeit meinen eigenen Stil gefunden, aber an diesen Vorbildern habe ich mich orientiert. Journalist zu sein war, wie mir schien, eine große und wichtige Aufgabe, und das wäre es auch heute noch, wenn echter Journalismus nicht unmöglich geworden wäre.
Als ich zu schreiben begann, in Vietnam und China, hatte man noch die Idee vom „Aufklärungsjournalismus“. Beim Militärkommando in Saigon gab es damals jeden Nachmittag etwas, was wir the five o’clock folly nannten, den Fünf-Uhr-Irrsinn. Da präsentierte sich ein amerikanischer General, gab einen Bericht über die Ereignisse des Tages ab - hier ein Angriff, dort eine Schlacht mit soundso vielen Toten - und danach gab es zwei Möglichkeiten: Entweder man ging auf sein Zimmer, schrieb, was der General gesagt hatte, und konnte dann den Abend im Lokal verbringen, oder aber man notierte sich den Namen der Ortschaft und fuhr nach der Pressekonferenz los, um zu überprüfen, ob die Geschichte auch stimmte.
Wo gibt es so etwas denn heute noch? Dazu ist gar keine Zeit mehr, und außerdem interessiert es niemanden.
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