Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
Und das will viel heißen.
Ein Journalist muss eine gewisse Arroganz besitzen, muss sich frei fühlen, von jeder Macht unabhängig. Egal, was mir geschah, selbst als ich in China verhaftet wurde, habe ich immer gesagt: „Macht, was ihr wollt! Ich berichte dann darüber.“Dieses Gefühl, dass du so etwas wie ein heiliges Recht darauf hast, deine Version der Wahrheit zu erzählen, verleiht dir ungeheure Kraft.
FOLCO: Wie sind denn die Beziehungen der Journalisten untereinander? Tauscht ihr euch aus, diskutiert ihr eure verschiedenen Analysen, gebt ihr einander Informationen weiter?
TIZIANO: Solange man nicht in direkter Konkurrenz zueinander steht, herrscht große Solidarität. Vor allem in Vietnam, in Indochina, verband uns eine regelrechte Kameradschaft. Es war, als gehörten wir alle zu demselben Stamm. Wir hatten ein kollektives Selbstbewusstsein, das es zu verteidigen galt. Ich weiß noch, wie wir auf die Barrikaden gingen, als die CIA Autos mit der Aufschrift Press zu benutzen begann: Die Insassen waren als Journalisten oder Fotografen verkleidet, doch statt Kameras steckten in ihren Taschen Maschinenpistolen. Da haben wir bei der amerikanischen Botschaft einen Aufstand gemacht! Wir fühlten uns als Kaste, könnte man sagen.
Die Beziehungen zwischen den einzelnen Personen waren allerdings meist schwierig. Vor allem die Amerikaner standen in ungeheuerer Konkurrenz zueinander, und wenn einer etwas läuten hörte, war er imstande, beim Essen kein Wort darüber zu verlieren. Die Geschichte von Sydney und den Booten macht deutlich, wozu jemand fähig ist, der sich eine exklusive Story sichern will.
Er lacht.
Also, das war so: In der amerikanischen Botschaft von Phnom Penh saßen ein paar eiskalte Mörder, die sogenannte boxes in die Landkarte Kambodschas einzeichneten. Wenn es zum Beispiel hieß, „an dem und dem Punkt im Dschungel befindet sich eine Kompanie Roter Khmer“, zeichneten sie dort ein Rechteck ein, das die amerikanischen B-52 flächendeckend zu bombardieren hatten. Nie wurde dabei überprüft, ob im Bereich dieser Kästen vielleicht Dörfer lagen. Dann kamen die Flugzeuge und warfen über dem ganzen Kasten ihre Bomben ab. Es gab ein furchtbares, fünf endlos lange Minuten andauerndes Bombardement, und danach war nichts mehr übrig als verbrannte Erde - kein Dschungel, keine Bäume, keine Dörfer, nichts.
Einmal bombardierten die Amerikaner statt einer Truppe Roter Khmer aus Versehen ein regierungstreues Dorf. Entweder war ihnen bei der Beschreibung des Kastens ein Fehler unterlaufen, oder die B-52 hatten die Karte falsch gelesen, jedenfalls töteten sie alle, restlos alle. Es war ein entsetzliches Blutbad!
Ich weiß nicht genau, wie Sydney davon Wind bekommen hatte, vielleicht über einen Trick, den auch ich manchmal anwandte. Die Kommunikation lief damals nicht wie heute über Satelliten, sondern über ein kleines amerikanisches Flugzeug, einen sogenannten Spotter, der relativ tief flog und den Piloten der B-52 die Befehle übermittelte. Irgendeiner der Journalisten hatte die Frequenz entdeckt, auf der dieser Spotter mit den Piloten und der Botschaft kommunizierte, denn die Transistoren, mit denen wir BBC hörten, hatten dieselbe Wellenlänge. Auf diese Weise erfuhren wir einiges, was nicht für uns bestimmt war. Möglicherweise hatte Sydney den Mann im Spotter rufen hören: „Um Gottes willen, ihr habt ein Massaker angerichtet! Ihr habt euch geirrt!“
Der bombardierte Ort lag auf einer kleinen Insel circa hundert Kilometer den Mekong hinunter. Als Sydney mitbekam, dass etwas Schreckliches geschehen war, fuhr er sofort an den Fluss, mietete ein Boot und zahlte all die anderen Fährmänner aus, damit sie Feierabend machten und die anderen Journalisten ihm nicht folgen konnten. So sicherte er sich eine exklusive Story!
FOLCO: Bist du auch hingefahren, um dir das anzusehen?
TIZIANO: Ja, aber als ich an den Fluss kam, waren die Boote schon weg.
Er lacht.
Die Geschichte des „Massakers von Neak Leong“erschien in allen Zeitungen der Welt. Sydney war wirklich ein Fuchs!
Wenn ich mir heute im Fernsehen die Pressekonferenzen im Pentagon ansehe, wird mir ganz übel angesichts der rückgratlosen Unterwürfigkeit dieser sogenannten Journalisten. Tag für Tag sitzen sie in ihren Sesseln und warten nur darauf, dass Rumsfeld und die anderen Machthaber hereinkommen und sie alle namentlich begrüßen: „Hallo Al, Sam, Bob …“, als seien es alte Freunde. Sydney hingegen ließ keine Gelegenheit
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