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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
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hilfreich. Denn die meisten Leute sind zunächst misstrauisch. „Wer ist das? Was will der überhaupt? Er redet anders, verhält sich anders als wir …“Lernst du aber, sie zu begrüßen - du ahnst ja gar nicht, wie sehr die Muslime es schätzen, wenn du sie mit „Salam aleikum“begrüßt! -, dann wirst du gleich ganz anders eingeordnet. Es entsteht eine viel direktere Beziehung. Es geht darum, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, und das geht nicht, wenn du mit dem Fallschirm abspringst oder einen neuen Fernseher mitbringst.
    Meine These ist: Wenn du einen roten Faden hast, wie etwa ich mit meinen Teppichen, begreifst du hundertmal mehr als wenn du den Politikern zuhörst. Als unser Hund Baolì uns in Tokio entlief, hat mich die Suche nach ihm mehr über Japan gelehrt als die gesamten fünf Jahre, die ich in dem Land verbracht habe: über die Bürokratie, die Organisation, die Perfektion, die Grausamkeit dort. Und mit unserer Gesellschaft ist es im Grunde genauso. Möchtest du Italien begreifen, setzt du dich ja auch nicht vor die Glotze und hörst dir den immer gleichen Unsinn an, den die Politiker verzapfen. Das ist doch nicht Italien! Fährst du dagegen durchs Land, zeigt es sich dir wie es wirklich ist. Deswegen hatte ich immer das Bedürfnis zu reisen, hierhin, dorthin!
    FOLCO: Das wahre Wesen eines Ortes zu begreifen, ist nicht einfach.
    TIZIANO: Weißt du, wenn ich ehrlich bin, habe ich den Anspruch der Angelsachsen auf Objektivität immer lächerlich gefunden. So ein Quatsch! Ich persönlich habe nie vorgegeben, objektiv zu sein, denn ich bin es nicht. Keiner ist es, und wer es behauptet, lügt. Wie könnte man auch objektiv sein? Das ist doch völlig unmöglich. Kurosawa hat das in seinem Film Rashomon eindrucksvoll gezeigt: Wenn sechs verschiedene Personen dieselbe Geschichte erleben, wird sie zu sechs verschiedenen Geschichten, denn die Art, etwas zu beobachten, die Details, die du dir herauspickst, die Gerüche, die du wahrnimmst, sind deine persönliche Auswahl von Einzelheiten, die natürlich auch dein Urteil beeinflussen.
    Und überhaupt, zu welchem Zweck sollte ich Objektivität vorgeben? Welchen Wert hätte sie? Der Leser soll ruhig wissen, was du denkst. Mein erstes Buch, Pelle di Leopardo, war ein ganz persönliches Zeugnis meiner Ansichten und Stimmungen, meiner Gefühle aus dem Krieg. Natürlich enthält es auch Fakten, aber wie ich sie erlebe, ist eben auch selbst schon ein Fakt. Wenn du willst, dass die Vietcong und nicht die Amerikaner den Krieg gewinnen, ist es ehrlicher, deine Parteinahme zuzugeben und die Gründe dafür zu erklären, als dir eine unrealistische Objektivität anzumaßen.
    FOLCO: Moment, diese Unmöglichkeit, objektiv zu sein, würde ich gern genauer verstehen.
    TIZIANO: Manchmal erlebst du Schreckliches. Unter den Fotos in den Kartons sind ein paar, die ich Jahre später in Birma aufgenommen habe. Für zwei oder drei ganz dramatische habe ich das Teleobjektiv benutzt, sonst hätten die Wachen auf mich geschossen. Darauf ist eine Gruppe junger Männer in Ketten zu sehen, die in einem Flussbett Steine schlagen. Das waren Studenten, Dissidenten, die zu Zwangsarbeit verurteilt worden waren und nun im Straßenbau schuften mussten. In Ketten! Die Ketten zeigen, was für ein schreckliches Militärregime das war. Als ich zu ihnen hinging, sah ich, dass fast alle Malaria hatten. Sie waren ganz gelb und fiebrig und stanken.
    FOLCO: Was hatten sie denn angestellt?
    TIZIANO: Es waren einfach Dissidenten von der Universität. Sie hatten protestiert. Und darüber willst du objektiv berichten?
    Stell dir den englischen Reporter vor. Er geht zu den Soldaten und fragt: „Wer sind diese jungen Leute in Ketten?“
    „Die haben sich gegen die Regierung aufgelehnt.“
    Dann geht er zu den Dissidenten. Sie sagen: „Dreihundert von uns sind schon an Malaria gestorben.“
    Also geht er zum General zurück: „Sie behaupten, dreihundert hätte die Malaria dahingerafft.“
    „Unsinn! Das waren höchstens zwanzig, und außerdem hatten sie die Ruhr.“
    Der Journalist schreibt alles auf und fertig ist der Artikel. Objektiv? Ich bitte dich!
    FOLCO: Du meinst, so ein Artikel sagt nichts aus?
    TIZIANO: Er sagt nichts aus, oder? Das ist doch nicht objektiv.
    FOLCO: Also, objektiv ist es schon, aber das löst das Problem nicht.
    TIZIANO: Es ist auch nicht objektiv.
    FOLCO: Doch, in gewisser Weise schon. Der Artikel berichtet, was die einen und die anderen gesagt haben.
    TIZIANO: Ja, aber daraus

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