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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
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ergibt sich ein völlig verzerrtes Bild der Wirklichkeit, verstehst du? Die Wahrheit liegt ja nicht in den Worten, die gesagt werden. Die Soldaten müssen sagen, wofür sie bezahlt werden, sonst kommen sie hinter Schloss und Riegel. Und die anderen müssen sagen: „Alles wunderbar, danke, die Suppe ist vorzüglich“, sonst kriegen sie eins übergebraten, sobald du weg bist. Und du meinst, du hättest ihre Geschichte erzählt? Nichts hast du erzählt!
    Lange Pause. Ich bin noch nicht wirklich überzeugt und hake noch einmal nach.
    FOLCO: Wie erzählt man ihre Geschichte dann?
    TIZIANO: Mit dem Herzen. Mit Anteilnahme. Indem man sich in die jungen Männer in den Ketten hineinversetzt. Und dann muss man sich die Frage stellen, ob es für das Militärregime in Birma nicht eine Lösung gibt - allerdings eine andere als in Thailand.
    Sieh dir doch an, wie die Medien über den Irakkrieg berichten! Ist das vielleicht objektiv? Nein. In den Fakten findest du keine Antwort. Die steckt in einer viel tieferen Schicht, in der Geschichte, in der Kultur. Deshalb hatte ich auf meinen Reisen immer so viele Bücher von Leuten dabei, die vor mir dort gewesen waren, oft von Jesuiten, die im Land gelebt hatten, um seine Seele zu begreifen.
    Später ist mir dann klar geworden, dass die Fakten mich nicht mehr interessierten. Da habe ich mit dem Journalismus abgeschlossen.
    FOLCO: Du wolltest nicht mehr hinfahren, um zu sehen, was geschah?
    TIZIANO: Nein. Es ist doch immer nur dasselbe, Folco. Wenn du heute, dreißig Jahre später, in den Irak fährst - ich selbst bin nicht dort gewesen, aber ich lese ja, was meine Kollegen schreiben - siehst du, dass dort genau das Gleiche geschieht wie damals in Vietnam. Jemand beruft eine Pressekonferenz ein und sagt: „Alles Feinde! Heute haben wir vierundzwanzig Schurken umgebracht! Wir haben versteckte Waffen sichergestellt und dazu eine Million Dinar… “Genau wie vor dreißig Jahren, Wort für Wort!
    Und das interessiert mich einfach nicht mehr. Der gleiche Krieg, die gleichen Reden, die gleichen Toten. Und die gleiche absurde Entschlossenheit … Man sieht es ja gerade wieder, die amerikanischen Generäle sagen genau das Gleiche wie früher in Vietnam. Wortwörtlich.
    Ich muss lachen.
    Und um das zu beschreiben, soll ich dort hinfahren? Nein danke!
    FOLCO: Stimmt, wenn es wirklich nur darum geht, immer genau dasselbe zu beschreiben, dann verstehe ich dich.
    TIZIANO: Alles wiederholt sich, Wort für Wort! Und das interessiert mich einfach nicht mehr. Wenn du plötzlich eine Erleuchtung hast und das begreifst, wie kannst du dann noch über die Schlachten von Falluja oder Nassiriya schreiben? Nach zehn Jahren wirst du dich nicht einmal mehr daran erinnern können. Doch dann wird es neue Schlachten geben, und alles wird wieder genauso sein, in Timbuktu oder sonst wo.
    Ich muss lachen.
    Es wird einen amerikanischen General geben, der sagt: „Heute haben wir dreißig Feinde umgebracht. Hier sind ihre Ohren.“In Vietnam haben sie das getan! „Hier sind ihre Ohren, zum Beweis, dass wir sie umgebracht haben.“
    So ist es doch, oder? Was gäbe es von der Schlacht von Nassiriya schon Besonderes zu berichten? Denk doch mal an all die blutigen Schlachten von früher, bei Kuang Tri, bei Hué. Die einen fliehen, die anderen verfolgen sie und ermorden so viele wie möglich, es gibt Berge von Toten, und am Ende kommen die Bagger und schaffen die Leichen fort. Heute in Nassiriya und in zehn Jahren anderswo. Dann wird es wieder einen amerikanischen General geben, der sagt: „Heute haben wir fünfzig Feinde umgebracht. Alles Terroristen. Es war eins ihrer Hauptquartiere…“
    Das ist doch lächerlich! Lächerlich! Und die Journalisten hören aufmerksam zu, machen sich Notizen und fragen: „Sind Sie sicher, dass es keine Hochzeit war?“
    „Nein, nein, eine Hochzeit war es bestimmt nicht, jedenfalls gab es keine Braut!“
    Ich lache.
    Na ja, Folco, so ist es doch.
    Wir lachen beide.
    Weißt du, diese Pressekonferenzen im Weißen Haus, zu denen der Sprecher mit Make up erscheint, damit seine Stirn nicht glänzt …
    FOLCO: Du nimmst diese Leute nicht sehr ernst.
    TIZIANO: Nein, ich nehme gar nichts mehr ernst. Ich kann darüber nur noch lachen. Aber irgendwie tun mir diese Leute auch leid, weil ihnen etwas ganz Wichtiges abhanden gekommen ist: die Phantasie.
    Papa denkt eine Weile nach.
    Deswegen habe ich irgendwann alles an den Nagel gehängt. Mit meinem Buch In Asien habe ich mit dem Journalismus

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