Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
abgeschlossen. Es war eine Art Testament, mit dem ich klarstellte: „In jener Phase meines Lebens und in jener Ecke der Welt habe ich auf diese Weise Journalismus betrieben: ohne Anspruch auf Objektivität.“Und damit war ich mit dem Journalismus fertig. Fertig.
Danach kamen die Briefe gegen den Krieg . Da bin ich schon nicht mehr gereist wie die anderen Journalisten, mit Satellitentelefon und digitaler Kamera. In den Briefen ist nur noch ein letzter Nachhall von Journalismus zu spüren. Was du da liest, ist alles wahr, soweit ich es nachprüfen konnte. Wie ein Reporter besuche ich die bombardierten Orte in Afghanistan, aber in Wirklichkeit in dem Versuch zu begreifen, was dahinter steckt, und was ich eigentlich immer zu erklären versucht habe: die Gründe der anderen. Daher sind die Briefe kein Buch eines Journalisten. Sie sind das Buch eines Pazifisten, der seine gesamte Munition auf den Krieg abfeuert. Als Journalist musst du kühl bleiben und Tatsachen berichten - die dann zu nichts nutze sind. Man liest sie, blättert um, trinkt seinen Cappuccino aus und wendet sich etwas anderem zu. Wenn du aber mit einer Episode Emotionen weckst, Empörung, und erklärst , was da passiert, kannst du, glaube ich, vielen Menschen die Augen öffnen und verstehen helfen. „Verstehen, was du meinst“, magst du einwenden. Ja, aber ich sage es auch klipp und klar: „Ich denke darüber so und so. Du kannst dich frei entscheiden. Aber dies ist meine Ansicht und ich maße mir nicht an, objektiv zu sein.“
Das ist wichtig, verstehst du?
FOLCO: Ja.
TIZIANO: Und jetzt würde ich gern ein bisschen Zeitung lesen. Ich fühle mich … Danke. Entschuldige …
Ich will schon gehen, halte aber noch einmal ein.
FOLCO: Papa? Worin hat dein Beruf also bestanden?
TIZIANO: Das ist doch sonnenklar. Ein guter Freund von mir, Salomon Bouman, den ich zu meiner Olivetti-Zeit in Den Haag kennen gelernt habe, ein Jude, der dann als Journalist nach Israel ging, hat das mit einem Satz formuliert, der mich mein Leben lang begleitet hat: „Auf der Suche nach der Wahrheit durch die Welt zu reisen - das ist Journalismus.“
Das habe ich mit großer Überzeugung getan, und auch mit großer Begeisterung. Ich habe die Wahrheit gesucht: in der Geschichte, in der Exaktheit der Fakten. „Wie viele Tote dort?“- „Um wie viel Uhr?“- „Wer hat als Erster geschossen?“
Manchmal war das mühsam. Manchmal lagen ihre Lügen auf der Hand, dann bohrtest du auf der Suche nach der Exaktheit der Fakten immer weiter nach, als wäre das das Wichtigste von der Welt.
Später habe ich begriffen, dass Lügen zwar schrecklich sind und nichts bringen, aber dass die Exaktheit der Fakten genauso unnütz ist, denn die Wahrheit, nach der ich suchte, liegt nicht in den Fakten, sondern dahinter. Oder sogar noch hinter dem Dahinter.
Und da habe ich einen ganz anderen Weg eingeschlagen.
KAMBODSCHA
TIZIANO: Parallel zur Geschichte Vietnams verlief die Geschichte von Kambodscha und Laos. Aber bevor ich dir das erzähle, trinke ich ein Gläschen von diesem Vinsanto.
FOLCO: Papa, der wird dir nicht bekommen.
TIZIANO: Wie Vietnam haben auch Kambodscha und Laos für ihre Unabhängigkeit gekämpft. Die Vietnamesen betrachten die beiden anderen Länder Indochinas ein bisschen wie ihre Spielwiese, denn die Grenzen zwischen den dreien sind nicht im Laufe der Geschichte entstanden, sondern während der Kolonialzeit. Laos wurde von den Franzosen „erfunden“, auf dem Reißbrett, ähnlich wie in Afrika: Wenn man eine Karte des heutigen Afrika betrachtet, springt ins Auge, dass die Grenzen nicht historisch gewachsen und nach Flüssen oder Bergketten ausgerichtet sind, sondern mit dem Lineal gezogen wurden. Irgendwann haben zwei aneinander geratene Kolonialmächte gesagt: „Komm, wir schließen Frieden. Wir ziehen eine Linie und jeder bekommt eine Hälfte.“So einfach war das.
Auf ähnliche Weise hat man Pakistan und Afghanistan getrennt und dabei das Volk der Paschtunen auseinander gerissen. Die Teilung ist Werk eines englischen Obersts namens Mr. Durand, der in die Gegend geschickt wurde, als dem sogenannten Indischen Reich die Unabhängigkeit zugestanden und Afghanistan dafür von Pakistan abgespalten werden sollte. Noch heute teilt die Durand-Linie das Volk der Paschtunen, zu dem Mullah Omar wie auch die Taliban gehören. Oft wurde so vorgegangen, daher gibt es heute überall Kriege zwischen ethnischen Minderheiten. Die sind auch das Erbe der Kolonialregime.
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