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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
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Und habe dadurch mehrere Mörderinnen gerettet.
    Und das soll objektiv sein?
    Natürlich ist ein Journalist zu so etwas nicht verpflichtet, und ich finde, da wird die Absurdität der angelsächsischen Vorstellung von Objektivität ganz gut deutlich. Da liegen ein paar Frauen, die vermutlich ganz schlimme Schergen gewesen sind, im Sterben und du musst entscheiden, ob du sie rettest oder nicht. Wo ist da, bitteschön, die Objektivität?
    Natürlich sind solche Episoden unbedeutend, aber sie zeigen, dass das Leben voller Alternativen ist, voller Entscheidungen, die du treffen musst, um hinterher in Frieden mit dir selbst zu sein.
    Es scheint, als sei er fertig.
    Aber dann, abends …
    Da gab es eben auch diesen anderen Aspekt, das darf man nicht verschweigen. Diese … wie soll ich sagen … diese Lust am Abenteuer. Du kommst abends ins Hotel zurück, in eine dieser Absteigen voller Nutten wie die Pension „Zur schwangeren Zwergin“…
    FOLCO: Die hieß aber nicht wirklich so, oder? Den Namen hast du erfunden?
    TIZIANO: Ja, natürlich. Weil die Besitzerin, eine Hure, unglaublich klein war und einen riesigen Bauch hatte! Du kommst also abends in die Pension zurück, duschst, und ständig klopft jemand an die Tür, um dir eine Massage oder allerlei sonstige Dienste anzubieten. Und dann gehst du hinunter, bestellst dir ein schönes, kühles Bier und fühlst dich unglaublich leicht. Du weißt, dass die Khmer-Frau im Krankenhaus liegt, während im Dschungel Dutzend andere verenden, bist dir deiner guten Tat bewusst, sitzt da und freust dich, dass dir jemand so eine wichtige Rolle zugedacht hat. Verstehst du, was ich meine? Also, das hatte schon auch etwas Perverses …
    In jener Zeit sind all diese Geschichten über mich entstanden. Man erzählte sich, Terzani sei in die Pension Zur schwangeren Zwergin gekommen, ganz in weiß gekleidet und mit einer roten Rose im Knopfloch, sei auf eine umgestülpte Kiste gestiegen, habe mit abgeschirmten Augen nach der kambodschanischen Grenze Ausschau gehalten und gerufen: „Ich sehe keinen Furz von Geschichte am Horizont.“
    Ich muss lachen.
    Wir schweigen eine Weile. Aus dem Ort im Tal klingt Glockenläuten herauf. Es ist zehn Uhr morgens.
    Ein Jahr später gehörten Nayan Chanda von der Far Eastern Economic Review und ich zu den Ersten, die wieder nach Kambodscha durften. Die Vietnamesen, die Kambodscha besetzt hatten und zu denen wir seit der Befreiung Saigons gute Kontakte hatten, vertrauten uns, das heißt, sie wussten, dass wir keine Agenten der Amerikaner waren, und so erteilten sie uns die Erlaubnis, nicht nur nach Kambodscha einzureisen, sondern durch Kambodscha zu reisen.
    Als wir in Phnom Penh ankamen, sagte der Chef des vietnamesischen Geheimdienstes: „Eine Eskorte kann ich euch leider nicht geben, denn ich habe keine zur Verfügung. Aber wenn ihr wollt, mietet euch ein Auto, besorgt euch Benzin und fahrt durchs Land.“
    Und das haben wir getan, leichtsinnig wie wir waren. Ohne Eskorte. Himmel, sind wir ein Risiko eingegangen! Doch das haben wir erst später begriffen.
    Wir fuhren durch ein gespenstisches Land. Die Städte waren verlassen, Trinkwasser gab es nicht, denn die Brunnen waren voller Leichen. Man konnte kein Feld überqueren, ohne auf Knochen und Schädel zu treten. Und auf dem Land war es extrem gefährlich, denn da trieben sich noch immer Banden Roter Khmer herum.
    Wir fuhren über menschenleere Landstraßen, und kamen wir in ein Dorf, traten die abgemagerten, schmutzigen Bewohner aus den Häusern und sahen uns teilnahmslos an. Sie hatten seit Ewigkeiten nichts zu essen. Wir kampierten in verlassenen Hütten und kochten uns etwas Reis, den wir mitgenommen hatten. FOLCO: Nicht einmal zu essen konnte man bekommen?
    TIZIANO: Wie denn?! Restaurants gab es nicht. Alle waren geflohen. Die Roten Khmer hatten alle umgebracht.
    FOLCO: Die totale Verwüstung.
    TIZIANO: Ja. Wir fuhren durch ganz Kambodscha. Und dann geschah etwas Wunderbares: Wir kamen nach Angkor. Meine Güte, war das beeindruckend! Ein riesiger Friedhof, alles leer, verlassen, nur der Geruch von Fledermauskot in den Gewölben dieser herrlichen Tempel ließ auf Leben schließen. Aber Menschen gab es keine. Und auf einmal hatte ich eine Eingebung: Die kilometerlangen Reliefs von Angkor waren im Grunde eine Prophezeiung! Sie zeigten alles, was später passiert war, alles: das Gemetzel, Menschen, die mit Knüppeln erschlagen oder den Krokodilen vorgeworfen wurden, aufgeschlitzte Bäuche. Als hätte der

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