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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
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Khmer tausend Jahre zuvor gespürt, dass etwas Wahnsinniges geschehen würde.
    FOLCO: Eine Prophezeiung?
    TIZIANO: Eine in Stein gemeißelte Prophezeiung.
    Tief aufgewühlt kamen wir von dieser Reise zurück. Es schien undenkbar, dass diese Kultur sich je wieder erholen konnte. Wie sollte das vor sich gehen?
    Doch dann hatte ich noch einmal eine wunderschöne Vision. Das Leben steht nie wirklich still. Du kannst Napalm abwerfen oder Salz streuen, du kannst alles Leben vernichten und eine Weile ist nichts mehr zu sehen, doch plötzlich - plopp! - kommt auf einmal irgendwo ein Pflänzchen durch den Boden. Ein kleiner Markt wird aufgemacht, zwei Menschen verlieben sich und das Leben kehrt zurück. Dieser ungeheure Lebenshunger war damals ganz deutlich zu spüren.
    FOLCO: War das deine erschütterndste Reise?
    TIZIANO: Ja, sie war erschütternd. Das alles hat mich tief getroffen. Das war nicht normal.
    Alles vergessen, vergessen.
    FOLCO: Du hast das vergessen?
    TIZIANO: Nein, nicht ich, die Öffentlichkeit. Hunderttausende sind umgekommen, und die Überlebenden betreiben jetzt vielleicht ein Khmer-Restaurant im Pariser Chinaviertel.
    Es war ein Jahrhundert schrecklicher Enttäuschungen. Auch deshalb herrscht heute diese völlige Orientierungslosigkeit. Es gibt nichts mehr, woran man sich festhalten könnte.

VERBOTENE SPIELE

    FOLCO: Weißt du, was mich interessieren würde? Was du als Zehnjähriger werden wolltest! Kannst du dich daran noch erinnern?
    TIZIANO: Ich erfand Berufe, die es nicht gab, aber besondere Träume für die Zukunft hatte ich eigentlich nicht. Ich sah zu, dass ich zurechtkam. Doch ich wollte auch etwas tun, um die Dinge zu ändern, weil ich mich in meiner Umgebung eingeengt und fehl am Platze fühlte.
    FOLCO: Du sagst immer, du seiest so anders gewesen als die Menschen in deinem Umfeld. Wie hast du dich dabei denn gefühlt?
    TIZIANO: Wie ein Ausbrecher.
    Schweigen.
    Das Ausbrechen war meine Natur. Das hatte einen positiven Aspekt, aber auch einen negativen, weil ich mich dadurch vor allen möglichen Arten von Verantwortung drückte, auch der politischen. Aber eine politische Karriere zu machen, was ohne Zweifel möglich gewesen wäre, lag mir einfach nicht.
    Meine allererste Flucht war, wenn du so willst, die vor dem Bild, das meine Mutter von mir hatte. Ich habe dir ja erzählt, dass sie mir die ersten drei, vier Jahre immer Mädchenkleider anzog. Vor denen wäre ich am liebsten weggelaufen!
    Und dann durfte ich mich nie schmutzig machen. Dabei liebte ich es, in der Küche zu hantieren, Gemüse zu schnippeln, Tomatensoße zuzubereiten. Am liebsten kochte ich Gemüsesuppe, und so lief ich, sobald ich konnte, von zu Hause weg zu meiner anderen Großmutter, Nonna Eleonora, die drei Häuser weiter wohnte, da durfte ich soviel herumschmieren, wie ich wollte.
    Diese Lust auszubrechen und wegzulaufen, mich jeder Kontrolle zu entziehen, war eine Konstante in meinem Leben. Von meinem Abenteuer in der Schweiz habe ich dir ja schon erzählt. Im Grunde ist mein ganzes Leben ein einziges Weglaufen gewesen - auch im negativen Sinne.
    FOLCO: Aber irgendwann musst du doch gemerkt haben, dass du es geschafft hattest! In Asien warst du doch entkommen?
    TIZIANO: Aber bis es soweit war! Sieh dir nur die Fotos aus meiner Olivetti-Zeit an, in Anzug und Krawatte. Meine Güte! Vom ersten Moment an hatte ich nichts anderes im Sinn, als auszubrechen.
    FOLCO: War dieses Ausbrechen und Weglaufen die Antriebsfeder deines Lebens?
    TIZIANO: Ja, das war es wohl. Ich wollte immer weiter, alles sehen, was es zu sehen gab. Diese Neugier auf alles, was anders war!
    Das Andere hat mich immer interessiert. Nur wo hätte dieses Interesse in Florenz Nahrung finden sollen? Es war ja keine intellektuelle Neugier, im Gegenteil, die Intellektuellen empfand ich als Last, sie schienen mir die Welt nur noch komplizierter zu machen. Das habe ich immer so empfunden: Die Intellektuellen komplizieren, was einfach ist, und die Journalisten vereinfachen, was kompliziert ist.
    Ich bin nie ein Intellektueller gewesen, niemals. Meine Neugier war manchmal ganz körperlich. Indochina habe ich mit jeder Faser meines Körpers genossen - die Hitze, die Stille, die Sonnenuntergänge. Weißt du, ein Sonnenuntergang vom Wat Pusi aus gesehen, wo der Mekong mit dem kleineren Fluss von Luang Prabang zusammenfließt, womöglich in einem dieser antiken Tempel in Laos mit leise klingelnden Glöckchen … das war Ekstase. Ekstase!
    Selbst der Krieg, gegen den ich

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