Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
später einen regelrechten Kreuzzug unternommen habe … Mit seiner ständigen Alternative von Leben und Tod übte er auch eine gewisse Faszination aus, das ist gar nicht zu leugnen. Denn in der Tiefe des menschlichen Wesens gibt es auch ein Bedürfnis nach Gewalt. Mein Herz hat das dann mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen, aber trotzdem, da war etwas …
Er senkt seine Stimme zu einem Flüstern.
Wenn man zur Front aufbrach und nicht wusste, wie es ausgehen würde - viele kamen ja nicht mehr zurück - das war eben auch ein großes Abenteuer. Morgens mit einem blutjungen Chauffeur ins Ungewisse zu fahren, ohne zu wissen, ob er mit seinem alten Mercedes nicht vielleicht in einem Graben landen oder in einen Hinterhalt geraten würde, aus dem man kaum Chancen hatte zu entkommen, wo die Karre doch allein zehn Minuten brauchte um anzuspringen.
FOLCO: Du bist viel gereist, manchmal warst du wochenlang weg. War dir das nicht eine Last?
TIZIANO: Keineswegs, im Gegenteil! Ich fand es herrlich, Neues zu entdecken! Mich mit allem zu beschäftigen, was anders war. Aus der Reihe zu tanzen. Das Reisen war unglaublich wichtig für mich, diese Abenteuerlust war mein Leben, darin ließ ich mich von nichts und niemandem aufhalten. Die Familie … du weißt ja, die war der Pflock, an den ich mit einem seidenen Faden gebunden war, wie ein bengalischer Dichter so schön sagt. Aber es gab eben auch viel anderes. Immer bin ich an diese Familie gebunden geblieben, nie habe ich sie verraten, nie den Kopf verloren wie andere, die auf einmal mit einer Sängerin aus Pleiku davongingen; und doch - ein Teil von mir genoss auch dieses Freisein, wie du es nennst.
FOLCO: Auch auf Kosten eines gewissen Risikos.
TIZIANO: Ach, weißt du, wirkliche Risiken bin ich eigentlich nie eingegangen, auch weil ich ein furchtbarer Angsthase bin. Ich hatte immer Schiss, deswegen sage ich ja, dass ich im Grunde nicht besonders mutig war. Andere hatten keine Spur von Angst. Neil Davis, ein wunderbarer Kameramann, ist beim Staatsstreich in Bangkok umgekommen, weil diese Vollidioten von Putschisten, die auf dem Panzer vorbeikamen, seine Kamera für eine Bazooka hielten. Und so hat er seinen eigenen Tod gefilmt. Er hat die laufende Kamera vor sich hingestellt und seinen eigenen Tod gefilmt!
Neil Davis war wirklich unglaublich mutig. Wenn du an die Front gingst und die Spähtrupps sagten: „Vorsicht, da hinten sind Rote Khmer! Hundert Meter weiter ist eine Bazooka auf uns gerichtet“, dann stand Neil Davis garantiert noch fünfzig Meter vor dir und filmte.
Schweigen.
Ah! Dieses Spiel mit dem eigenen Leben, hatte schon etwas … Das muss ich zugeben, das ist einfach so. Wozu sollte ich den Puritaner oder Moralisten spielen.
Ich denke da zum Beispiel an unsere dummen Vergnügungen im Mekong in Kambodscha. Wir waren wirklich völlig verrückt! Wir zogen uns aus, wickelten uns in einen Sarong und an der Stelle, wo in Phnom Penh das Kasino des Prinzen Sihanouk liegt, sprangen wir ins Wasser. Dann ließen wir eine Luftblase unter den Sarong gleiten und trieben diesen riesigen Fluss kilometerweit hinunter, den Kanonendonner in den Ohren. Und unsere Chauffeure mussten nachkommen, um uns flussabwärts aufzulesen und ins Hotel zurückzubringen.
FOLCO: Gab es da keine Krokodile?
TIZIANO: Nein, dort nicht. Wir trieben bei Sonnenuntergang gemächlich im Wasser dahin und sahen dabei die Jagdflugzeuge auf die Stadt hinabstoßen. Und dann ging’s nach Hause, um im Café de la Poste Schokoladensoufflee zu essen. Eines Abends knallte Al Rokoff dort eine Handgranate auf den Tisch und meinte, wenn das Soufflee diesmal nicht locker genug sei, würde er das ganze Lokal in die Luft jagen.
FOLCO: Wer war denn Al Rokoff?
TIZIANO: Ein amerikanischer Fotograf, ein toller, absolut verrückter Kerl, der immer Unmengen von Handgranaten dabeihatte. Ich weiß noch, wie wir eines Tages im Hôtel Le Phnom zusammensaßen und plötzlich der Hoteldirektor kam und meinte: „Monsieur Rokoff, leider haben Sie zu viele Handgranaten auf dem Zimmer. Es wäre besser, Sie würden sich eine andere Unterkunft suchen.“
Er lacht.
Und dann diese Abende, an denen man bis spät nachts mit irgendwelchen merkwürdigen Kollegen zusammensaß und die Engländer Heldengeschichten erzählten. Tim Page zum Beispiel hatte sich für das Umschlagfoto seines neuen Buchs auf die Schienen der kambodschanischen Eisenbahn gelegt, als der Zug schon ganz nah war. Und irgendjemand hatte ihn tatsächlich so
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